Atelier E. Felly, Isny/Baden Württemberg: „Die Donau von Passau bis Wien – Vogelschaubild N. 1“, Autochromdruck, gelaufen 1910 von Engelhartszell nach Mettmach bei Ried im Innkreis/Oberösterreich; Privatsammlung.

Atelier E. Felly, Isny/Baden Württemberg: „Die Donau von Passau bis Wien – Vogelschaubild N. 1“, Autochromdruck, gelaufen 1910 von Engelhartszell nach Mettmach bei Ried im Innkreis/Oberösterreich; Privatsammlung.

Weitsicht im kleinen Format

Zunächst bestieg man Türme, um ein größeres Blickfeld vor sich zu haben. Ende des 18. Jahrhunderts schließlich ließen sich einige vom Heißluftballon in den Himmel tragen, denn sie wollten noch weiter sehen. Der aufklärerische Geist jener Jahre verlangte nach neuen Blicken auf die Welt, die jedoch nur wenigen vergönnt waren. Wer sich den Traum vom Fliegen nicht erfüllen konnte, suchte nach einem Ersatz, mit dem er in den eigenen vier Wänden seine Wünsche zu befriedigen vermochte. Und nicht anders erging es jenen, die fremde Gegenden sehen wollten, aber über die finanziellen Mittel für eine Reise nicht verfügten. So entstand ein Bedürfnis nach handlichen und transportablen Bildern. Zunächst waren es grafische Betriebe, die gestochene oder lithografierte Ansichten lieferten. Diese waren entweder als gerollte oder gefaltete Exemplare zu erwerben und hatten manchmal eine Länge von zwei und mehr Metern.

Kaum war 1839 die Erfindung der Fotografie bekannt geworden, versuchte sich manch einer an Panoramafotos. Die erste gelang dem in der Wiener Hof- und Staatsdruckerei tätigen Retzer Apotheker Joseph Puchberger, der 1842 ein Patent nahm und mit seinem Ellipsen-Daguerreotyp-Apparat die Dominikanerbastei in einer Rundsicht von 130 Grad ablichtete. In den folgenden Jahrzehnten lieferte die Fotoindustrie mehrere Modelle von Kameras verschiedenster Bauart, die einen Radius von bis zu 360 Grad abdeckten. Doch gegenüber gezeichneten oder gemalten Rundblicken konnte eine Fotografie immer nur von einem einzigen Standort aus angefertigt werden, weshalb ihr Horizont begrenzt war. Aus diesem Grund behaupteten sich grafische Darstellungen auch weiterhin und fanden ihren Weg im Fin de Siècle auch auf die illustrierte Postkarte.

Ob fotografisch oder grafisch wiedergegeben, die meisten Panoramen wurden auf Faltkarten angeboten. Diese wiesen eine Länge von zwei oder mehreren Karten im Standardformat 9 x 14 cm auf und mussten für den Postversand auf Normalgröße gefaltet sein. Weil diese Stücke aber nicht billig waren und zudem die Sendung als Brief gewertet und entsprechend höher frankiert werden musste, boten manche Hersteller Serien an, bei denen die Ansichten einzeln erhältlich waren. So konnte am jeweiligen Aufenthaltsort die passende Karte ausgewählt und an Verwandte oder Freunde verschickt werden. Dem Absender des vorliegenden Vogelschaubildes war es nicht um eine solche Übereinstimmung zu tun, denn er gab die Karte erst in Engelhartszell, bis zu welchem Ort die Ansicht gar nicht reicht, zur Post. Vielleicht aber reiste er vom Innviertel nach Passau und wollte mit der Karte den Daheimgebliebenen lediglich die vorgesehene Route zeigen.

Auch wenn die Karten der Serie als eine Reise von West nach Ost angelegt sind, ist die Sichtweise doch eine andere. Denn der fiktive Betrachter befindet sich hoch über und unweit von Obernzell und blickt Richtung Passau, das in entsprechender Perspektive dargestellt ist. Der Vorteil gegenüber fotografischen Ansichten liegt eben nicht nur in der größeren Reichweite der Darstellung, sondern auch in der Möglichkeit, unterschiedliche Blickwinkel auf derselben Karte unterzubringen. Beispielsweise indem eine Landschaft um kleine Abbildungen, die Stadtveduten und attraktive Bauwerke in Seitenansichten herausheben, ergänzt wird. Mit den Wappen des Königreichs Bayern und dem österreichischen Doppeladler wurde bildlich ersichtlich gemacht, zu welchem Land die Orte rechts und links der Donau gehören.

Timm Starl



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