Das Scheitern einer Serie
Es ist nicht weiter verwunderlich, wenn in der privatwirtschaftlichen Ansichtskartenproduktion nicht gut gehende Motive nicht mehr aufgelegt werden. Dass aber eine ganze Motivserie gar nicht erst auf den Markt kommt und damit der Nachwelt praktisch unbekannt bleibt, dürfte eher selten vorkommen. Dieses Schicksal ist aber wohl dem hier behandelten Motiv widerfahren. Es gelangte vor kurzem zusammen mit 16 ähnlich gestalteten Darstellungen durch eine private Schenkung in die Sammlung des Wien Museums. Die nicht nummerierte Serie kann auch als Beispiel für den experimentellen Charakter der illustrierten Postkarte gelten, der je nach Herstellungsverfahren mehr oder weniger Versuche zuließ und ebenso das Scheitern einschloss.
Die Karten bestehen je zur Hälfte aus einer Schwarz-Weiß-Fotografie einer Wiener Sehenswürdigkeit und einem Stadtplan. Das ausgewählte Exemplar zeigt das Gebäude der Volksbildungsanstalt Urania am Donaukanal und den dazugehörigen Kartenausschnitt, auf dem auch andere öffentliche Gebäude und mögliche touristische Ziele (wenn auch nur schemenhaft) zu erkennen sind. Die Verbindung von Stadtansicht und Stadtplan war in der Boomphase der illustrierten Postkarte vor dem Ersten Weltkrieg an sich keine Seltenheit. Diesmal bestand die Besonderheit darin, Fotografie und Kartografie gleichrangig auf einer Postkarte zu vereinen (in einem Nebeneinander, das formal an zeitgenössische Stereoskopkarten angelehnt zu sein scheint). Dabei ist freilich auch die Planzeichnung letztlich auf fototechnischem Wege ins Kartenbild gelangt, handelt es sich doch um einen zeittypischen Abzug auf Fotopapier im Postkartenformat.
Damit sind wir bei der Datierung angelangt, die nach inhaltlichen Kriterien auf den Zeitraum 1926 bis 1934 einzugrenzen ist. Der Planausschnitt wurde offensichtlich und ohne Kennzeichnung aus einem Bezirksplan der in Wien ansässigen Kartographischen Anstalt G. Freytag & Berndt kopiert. Dabei wurde ein Jahrgang verwendet, wie aus anderen Exemplaren der Postkartenserie hervorgeht, der bereits Straßenumbenennungen im Jahr 1926 berücksichtigt (zum Beispiel Rathausplatz statt Dr.-Karl-Lueger-Platz; ebendort heißt der heutige Rooseveltplatz Freiheitsplatz, der 1934 in Dollfuß-Platz umbenannt wurde). Zur besseren Orientierung ist der genaue Standort des Motivs im Stadtplan durch eine Lochung markiert. Dies könnte – neben der Motivauswahl – wiederum ein Anhaltspunkt für den naheliegenden touristischen Verwendungszweck der Karte sein und ihre Entstehungszeit eher in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre vermuten lassen: Denn damals hatte Wiens Fremdenverkehr annähernd das Vorkriegsniveau erreicht und war im Steigen begriffen. Ein Schlüsseljahr war diesbezüglich 1928, als das 10. Deutsche Sängerbundfest in Wien stattfand und abertausende Besucher:innen in die Stadt lockte. Auch 1929 waren die Besucherzahlen noch relativ hoch und begannen erst danach infolge der Wirtschaftskrise deutlich zu sinken.
Hinweise auf den/die Hersteller:in und den Entstehungskontext der Postkarte ergeben sich aus dem Stempel auf der Adressseite, der sie als gesetzlich geschütztes „Muster“ und „Wallner Plan-Karte“ ausweist. Laut Bio-Bibliografie zur Fotografie in Österreich (über die Albertina-Website erreichbar) war ab 1926 ein Fotograf und Fotohändler namens Norbert Wallner in der Josefstadt gemeldet. Ob es sich dabei um dieselbe Person handelte, bleibt allerdings offen. Es scheint jedoch, dass er oder sie gewisse Erwartungen in die neuartige „Kombinationskarte“ setzte und die Idee sogar rechtlich schützen ließ. Die erhaltenen Exemplare dienten wohl als „Muster“ für Bestellungen einschlägiger Vertriebsstellen wie Trafiken oder Schreibwarengeschäften – offensichtlich ohne großen Erfolg, wenn wir davon ausgehen, dass sie in Wiener Sammlerkreisen praktisch unbekannt sind.[1] Über die Hintergründe dieses Scheiterns können wir nur Vermutungen anstellen. Möglicherweise waren die „Plan-Karten“ selbst für diese Phase des Mediums, in der aufwendigere und attraktivere Drucktechniken seltener wurden, gestalterisch nicht ansprechend genug oder in dieser Kombination gewöhnungsbedürftig. Natürlich mag es auch persönliche Gründe gegeben haben, warum die Serie vielleicht nur als einmalige Edition entstand und gar nicht auf den Markt kam. Jedenfalls war es für die damalige Zeit ein bemerkenswerter und für einige Zeit der letzte Versuch in Wien, Stadtpläne serienmäßig im Bild der Ansichtskarte zu platzieren.
Sándor Békési, 6. Dezember 2024
[1] Ich danke Helfried Seemann recht herzlich für diese Auskunft.
Permalink: https://postkarten.bonartes.org/index.php/herausgegriffen-detail/Das-Scheitern-einer-Serie.html