IRIS-Verlag: „Wien, Brand des Justizpalast“, 1927, Silbergelatinepapier, ungelaufen; Privatsammlung; Vergleichsabb.: IRIS-Verlag: „Wien I. Brand des Justizpalast“, 1927, Silbergelatinepapier, ungelaufen; Archiv Gerald Piffl / Imagno / picturedesk.com

IRIS-Verlag: „Wien, Brand des Justizpalast“, 1927, Silbergelatinepapier, ungelaufen; Privatsammlung; Vergleichsabb.: IRIS-Verlag: „Wien I. Brand des Justizpalast“, 1927, Silbergelatinepapier, ungelaufen; Archiv Gerald Piffl / Imagno / picturedesk.com

IRIS-Verlag: „Wien, Brand des Justizpalast“, 1927, Silbergelatinepapier, ungelaufen; Privatsammlung; Vergleichsabb.: IRIS-Verlag: „Wien I. Brand des Justizpalast“, 1927, Silbergelatinepapier, ungelaufen; Archiv Gerald Piffl / Imagno / picturedesk.com

Den Ereignissen des Justizpalastbrandes auf der Spur

Der Brand des Wiener Justizpalastes am 15. Juli 1927 stellt eines der einschneidendsten Ereignisse der Ersten Republik dar. Ausgelöst durch den Freispruch der für den Tod von zwei Personen verantwortlichen Täter von Schattendorf, der auf Seiten der Arbeiter*innen große Empörung hervorrief, fanden an diesem Tag nach einem Generalstreik Demonstrationen im Bereich der westlichen Ringstraße statt, die schließlich in die Erstürmung des Justizpalastes mündeten. Der – vielfach als unverhältnismäßig beschriebene – Einsatz der berittenen Polizei sowie der am Nachmittag von Polizeipräsident Johann Schober ausgegebene Schießbefehl, der in eine unkontrollierte Eskalation der Gewalt mündete, zogen einen hohen Blutzoll insbesondere auf Seiten der Arbeiter*innenschaft nach sich.

Es liegen verschiedene fotografische Postkarten mit dem Motiv des brennenden Justizpalastes vor, die von dem im 2. Wiener Gemeindebezirk ansässigen IRIS-Kunstverlag herausgegeben wurden. Diese gehören dem Genre der Ereignispostkarte an, deren Funktion es war, möglichst rasch und breitenwirksam Bilder eines öffentlich bedeutsamen Geschehens in Umlauf zu bringen. Auf der vorliegenden querformatigen Postkarte wird das Gebäude von einem Standpunkt beim Volkstheater in den Blick genommen. Damit sieht man zu linker Hand die Hinteransicht des Justizpalastes in der Lastenstraße (heute Museumsstraße) sowie zu rechter Hand die Schmalseite in der Volksgartenstraße. In beiden Straßenzügen erstreckt sich dichtgedrängt eine Menschenmenge, während sich gleichzeitig Spuren einer Rauchentwicklung ablesen lassen. Eine vor dem Eckrisalit befindliche öffentliche Fernsprechkabine wurde bereits in Brand gesteckt, aus zumindest zwei Fenstern steigt Qualm auf. Der Zeitpunkt der Aufnahme muss in etwa zwischen 12.30 und 14 Uhr gelegen sein. Gegen Mittag gelang es den Demonstrant*innen nämlich, sich Zugang zum Gebäude zu verschaffen, um 12.28 Uhr traf die erste Brandmeldung bei der Feuerwehr ein. Die Zeit zwischen 13 und 14 Uhr wird von Historiker*innen als Ruhe vor dem Sturm beschrieben. In dieser Stunde gelang es der Feuerwehr aufgrund von Barrikaden und Sabotageakten nicht, so nahe an den Justizpalast heranzufahren, um mit Löscharbeiten beginnen zu können. Es gab noch keinen polizeilichen Befehl, den Einsatzwägen mit Schusswaffen den Weg zu bahnen.

Abzüge von dem Negativ mit der riesigen Menge an Schaulustigen vor dem brennenden Justizpalast existieren in noch zumindest zwei weiteren Varianten. Ein nur noch in Teilen vorhandenes Album, das von einem direkt involvierten Polizeibeamten nachträglich angelegt wurde und das sich in den Beständen des Bildarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek befindet, enthält eine Reproduktion desselben Motivs mit etwas enger gewähltem Ausschnitt. Auf der Fotografie (Inventarnummer Pk 4975,7) ist ein Element zu sehen, das auf der Postkarte retuschiert wurde, nämlich einige in der Luft herumfliegende Akten, die unmittelbar zuvor von aufgebrachten Demonstrant*innen während der Einnahme des Gebäudes als Akt der symbolischen Bezwingung der staatlichen Macht aus den Fenstern der oberen Geschoße geworfen wurden. Man ließ die kleinen weißen Flecken verschwinden, möglicherweise weil der bescheidene Triumpf der Aufrührer*innen über die Obrigkeit getilgt werden sollte und für den Bildeindruck als störend empfunden wurden. Das Wegretuschieren der Akten – diese fungierten zudem als ein Index für die zeitliche Bestimmung – nahm deutlich die Dynamik des Ereignisses zurück. Auch der von Gustav Mayer produzierte Film Der Brand des Justizpalastes in Wien – heute im Bestand des Filmarchivs Austria –, der aus einer ähnlichen Perspektive das dramatische Geschehen aufzeichnete, bestärkt die Annahme, dass die verstreuten Akten ein ebenso bedeutsames Signum für die Julirevolte waren wie die Rauchsäulen rund um das Gebäude.

Bei der zweiten Variante handelt es sich wieder um eine Postkarte aus dem IRIS-Verlag (s. Vergleichsabb.). Dieses Mal wird das Motiv im Hochformat gezeigt – jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: Massive Rauchschwaden geben nun den Blick frei auf das bereits zerstörte Gerippe eines kuppelförmigen Turmaufbaus. Das Bild soll den dramatischen Höhepunkt des Brandes mit weithin sichtbarer Rauchwolke suggerieren. Manche*r Betrachter*in mag in Anbetracht der Gefährlichkeit der Situation von der Darstellung eines von Menschen unmittelbar umringten brennenden Gebäudes irritiert gewesen sein. Im direkten Vergleich mit  der anderen Version der Aufnahme und der Kenntnis der baulichen Beschaffenheit ist klar, dass hier eine Montage vorliegt. Die Kuppel bekrönte den rechten Eckrisalit der Vorderseite des Justizpalastes am Schmerlingplatz, befand sich also auf der dem Bildmotiv diagonal gegenüberliegenden Gebäudeseite. Tatsächlich brannte das Dach in diesem Bereich am stärksten. Der Postkartenhersteller nahm damit eine architektonisch falsche Ansicht in Kauf, um ein aufsehenerregendes Bild zu schaffen. Das Motiv zeugt aber nicht nur von einer fingierten Topografie, sondern führt gleichfalls einen Bruch in der Zeitlichkeit herbei. Denn als der Brand so weit fortgeschritten wie hier abgebildet war, befanden sich keine Schaulustigen mehr in der Nähe des Gebäudes.

Die beiden Postkarten vom Justizpalastbrand verdeutlichen eindrucksvoll, dass beim Genre der Ereignispostkarte mitunter eine Sicht der Dinge etabliert wird, die von den historischen Tatsachen abweichen kann. Gerade bei einem politisch dermaßen brisanten und in der Deutung bis heute polarisierenden Vorfall wie der Erstürmung des Wiener Justizpalastes muss unterstellt werden, dass die Arbeit am Bildmotiv nicht nur von verkaufsfördernden Interessen geleitet war, sondern dass darüber hinaus die Möglichkeit genutzt wurde, Bilder in Umlauf zu bringen, denen eine politische Haltung eingeschrieben ist. Die Geschehnisse im Juli 1927 erforderten es, Position zu beziehen. Die überlieferten Bilddokumente verdeutlichen dies mit jeweils unterschiedlichen medialen Mitteln: sei es, dass die Zwischentitel im Film Der Brand des Justizpalastes in Wien für die Notwendigkeit des Einsatzes von Polizeigewalt argumentieren oder dass der Postkartenverlag IRIS den Brand selbst sensationsheischend überstilisiert.

Christina Natlacen, 15. Juli 2021


Ich danke sehr herzlich Herrn Gerald Piffl, dass er mir eine Postkarte aus seinem Privatbesitz zur Verfügung gestellt hat, den Mitarbeiter*innen des Bildarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek für die Vorlage des Fotoalbums mit der Inventarnummer Pk 4975 sowie Frau Kristina Höch vom Filmarchiv Austria, die mir die vorhandenen Filme zum Justizpalastbrand zur Sichtung vorgelegt hat. – Informationen zu der Chronologie der Ereignisse entnahm ich maßgeblich dem Beitrag von Gerhard Botz, „Ungerechtigkeit, die Demonstranten, Zufall und die Polizei: der 15. Juli 1927. Bildanalysen zu einem Wendepunkt in der Geschichte Österreichs“, in: Bundesministerium für Justiz, Ludwig Boltzmann-Institut für Geschichte und Gesellschaft/Cluster Geschichte (Hg.), 80 Jahre Justizpalastbrand. Recht und gesellschaftliche Konflikte, Innsbruck, Wien, Bozen: Studienverlag 2008, S. 21–57.



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