Carl Moon: „Tom of Ganado, Indian Bldg., Albuquerque, N. M.“, 1907, ungelaufen, Photochrom, Slg. Emma und Felix von Luschan (Department für Evolutionäre Anthropologie, Universität Wien)

Carl Moon: „Tom of Ganado, Indian Bldg., Albuquerque, N. M.“, 1907, ungelaufen, Photochrom, Slg. Emma und Felix von Luschan (Department für Evolutionäre Anthropologie, Universität Wien)

Carl Moon: „Tom of Ganado, Indian Bldg., Albuquerque, N. M.“, 1907, ungelaufen, Photochrom, Slg. Emma und Felix von Luschan (Department für Evolutionäre Anthropologie, Universität Wien)

Carl Moon: „Tom of Ganado, Indian Bldg., Albuquerque, N. M.“, 1907, ungelaufen, Photochrom, Slg. Emma und Felix von Luschan (Department für Evolutionäre Anthropologie, Universität Wien)

Der „Great Southwest“, eine Erfindung in Farbe

Die tagelange Eintönigkeit und mangelnde Verpflegung auf der neuen transkontinentalen Eisenbahnlinie, die ab 1863 den Westen Nordamerikas erschloss, brachte einen Einwanderer aus Liverpool auf eine folgenreiche Geschäftsidee. Fred Harvey (1835–1901), ein gescheiterter Restaurantbesitzer, der sich bei der Eisenbahn verdingte, übernahm 1876 per Handschlag die Bewirtung der Atchison, Topeka & Santa Fe Railroad. Wo es zuvor nur Wasserstationen für Dampfloks und Zugüberfälle gegeben hatte, eröffnete Harvey Bahnhofsrestaurants und Kioske von höchster Qualität. Dies war die Geburtsstunde der Fred Harvey Company und zugleich der ersten Restaurantkette der Welt, die ab 1890 auch hocheffiziente Speisewagen betrieb. Serviert wurde von jungen Frauen in adretten Uniformen, die später als „Harvey Girls“ bekannt wurden.

Als er 1901 verstarb, hinterließ Harvey 26 Restaurants, 20 Speisewagen und 16 luxuriöse „Harvey Houses“ für Übernachtungsgäste entlang der Santa-Fe-Route. Seine kunstsinnige Tochter Minnie Harvey Huckel (1871–1943) erweiterte das Familienunternehmen um ein „Indian Department“, das die Indigene Kunst des Südwestens für einen neuen Kulturtourismus entdeckte. In eigenen „Indian Buildings“ fertigten unter Vertrag stehende Künstler·innen der Diné (Navajo), Hopi und Pueblo ihre Werke live vor dem reisenden euro-amerikanischen Publikum. Zu den „authentischen“ Vorführungen gehörten Weberei, Töpferei und Silberschmiedekunst, die auch direkt erworben werden konnten. Zu einem Vorzeigeprojekt im Wortsinn wurde 1902 die Hotelanlage Alvarado in Albuquerque, mit der die Architektin Mary Colter (1869–1958) einen neuen Santa-Fe-Stil prägte.

In einem für den Tourismus erfundenen „Great Southwest“ sollte der kriegerische „Wilde Westen“ durch eine domestizierte Romantik ersetzt werden, die Indigene als friedfertige Künstlernaturen aus einer vorindustriellen, noch unberührten Welt darstellte. Wichtigster Botschafter dieses Konzepts wurde das neue Medium der farbigen Fotopostkarte. Von der Detroit Photographic Company um 1895 für den nordamerikanischen Markt lizenziert, ermöglichte der in der Schweiz entwickelte Photochrom-Prozess eine lithografische Umsetzung von fotografischen Schwarzweißnegativen in Farbe, wobei ihre Palette künstlerisch frei wählbar war. Fred Harvey sicherte sich 1901 das fotomechanische Verfahren für eigene Farbpostkartenserien, die im Unterschied zu handkolorierten Bildern massenhaft produziert werden konnten und den Südwesten bei Tourist·innen weltweit bekannt machen sollten.

Ab 1907 lieferte Carl Moon (1878–1948), der sich bereits einen Namen als Fotograf von Indigenen gemacht hatte, exklusiv die fotografischen Vorlagen für die charakteristisch farbintensiven Postkarten, die unter dem Handelsnamen „Phostint“ zu Hunderttausenden vertrieben wurden und zu Sammlerobjekten avancierten. Moons Tourismusmotive umfassten Landschaften, „Harvey Houses“ und Indigene entlang der Santa-Fe-Line, darunter auch einige Persönlichkeiten aus den „Harvey Indian Buildings“ wie auf der Postkarte „Tom of Ganado, Indian Building, Albuquerque“ von 1907 aus der Sammlung Emma und Felix von Luschan (Department für Evolutionäre Anthropologie, Universität Wien). Ihre handschriftliche Notiz am Rand verweist auf die Rückseite der Postkarte, die einen vorgedruckten Text trägt. Darin werden „Tom“ und seine Frau „Elle“ als die Berühmtesten ihres „Stammes“ bezeichnet und in einer wildromantischen Anekdote skizziert.

Der Diné-Silberschmied Naaltsóós Neiyéhé (um 1850–1930) vom Clan „Viele Ziegen“ war tatsächlich einer der beliebtesten Vorführer der Harvey Company. Seine Schlagfertigkeit in mehreren Sprachen brachte ihm die Aufmerksamkeit der Lokalpresse ein, die wohlwollend über seine direkte Kritik an den Tourist·innen berichtete. Seine Frau, eigentlich Asdzą́ą́ Łichíí (um 1850–1924) aus dem Clan „Schwarze Schafe“, war als Teppichweberin für zwei US-Präsidenten überregional bekannt. Von 1903 bis 1923 arbeitete das Paar im „Indian Building“ des Alvarado Hotel, wo sie auch mit durchreisender Prominenz wie Charles Chaplin (1889–1977) posierten. Weitere Auftritte fanden etwa vor der Kulisse des Grand Canyon und auf Weltausstellungen statt, wo das System Harvey auch Anthropolog·innen für sich gewinnen konnte, um den Mythos des Südwestens fortzuschreiben.

Mit dem Zustrom weißer Tourist·innen und lediger Servierkräfte der Ostküste in den „Great Southwest“ sollte dieser sich bald selbst entzaubern. Entlang seiner bewirtschafteten Eisenbahnlinien wuchsen neue Städte, die „Harvey Girls“ nutzten den Männerüberschuss zur Familiengründung und wurden 1946 in einem Oscar-prämierten Musical als zivilisierende Kräfte des Westens verewigt. Auch „Tom“ und „Elle“ stammten nicht aus der Region. Ihr anglisierter Künstlername verweist auf einen Handelsposten in Ganado, Arizona, über den sie aus jenem Reservat angeheuert wurden, in das die Diné einst brutal von ihrem angestammten Land vertrieben worden waren. Nicht zuletzt waren es aber die Kunstdemonstrationen der Fred Harvey Company, die den Weg für Tourismusprojekte in Indigener Selbstverwaltung ebneten.

Katarina Matiasek, 17. Dezember 2024

 

Weiterführende Literatur

Leah Dilworth, „Tourists and Indians in Fred Harvey’s Southwest“, in: David Wrobel, Patrick Long (Hg.), Seeing and Being Seen: Tourism in the American West, Lawrence: University Press of Kansas, 2001, S. 142–164.

Howard Gruehl, „Like Stories About Indians? Tom and Elle – Navajos“, in: Illustrated World, 38. Jg. (1922), S. 417–419, 466.

Kathleen Howard, „Weaving the Legend: Elle of Ganado Promotes the Indian Southwest“, in: New Mexico Historical Review, 74. Jg. (1999), S. 130–131.

Ben Marks, „In Living Color: The Forgotten 19th-Century Photo Technology that Romanticized America“, in: Collectors Weekly, 23. Mai 2014 (www.collectorsweekly.com/articles/the-forgotten-photo-technology-that-romanticized-america), abgerufen am 17. Dezember 2024.

Martin Sullivan, Diana Pardue, „Westward by Rail“, in: Humanities, 17. Jg. (1996), S. 22–24.

Marta Weigle, Barbara A. Babcock (Hg.), The Great Southwest of the Fred Harvey Company and the Santa Fe Railway, Phoenix: The Heard Museum, 1996.



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