Friedrich Ruef-Hirt, Wettingen/Aargau: „Rotbuchstrasse. 6175. Zürich. [Kreis] 6. Seminarstrasse“, Silbergelatine, datiert und gelaufen 1913 von Zürich nach Glarus, Baugeschichtliches Archiv, Zürich

Friedrich Ruef-Hirt, Wettingen/Aargau: „Rotbuchstrasse. 6175. Zürich. [Kreis] 6. Seminarstrasse“, Silbergelatine, datiert und gelaufen 1913 von Zürich nach Glarus, Baugeschichtliches Archiv, Zürich

Der Häusersammler Friedrich Ruef-Hirt

„[…] schicke Dir eine Ansicht vom Laden wo ich alle Tage Arbeiten muss.“ Das Gebäude an der Rotbuchstraße 2 mit der Filiale des Konsum-Vereins, in welcher der oder die Kartenschreiber*in angestellt ist, ist eines von mehreren tausend Zürcher Häusern, das vom Berufsfotografen Friedrich Ruef-Hirt zwischen 1905 und 1910 abgelichtet wurde. Binnen weniger Jahre entstand eine einmalige Bildersammlung von Häusern und Straßen aus Zürich und Umgebung. Ruef-Hirt dokumentierte mit seiner Kamera systematisch alle Quartiere der 1893 durch die Eingemeindung neu entstandenen Großstadt. Dabei kamen ihm keine klassischen Sehenswürdigkeiten vor die Linse, sondern Wohnquartiere, also Ecken und Häuser, die zu dieser Zeit sonst niemand für wert befand abzulichten. Teilweise sind ganze Straßenzüge fast Haus für Haus festgehalten. Es sei dahingestellt, ob diese große Edition mit mehrheitlich Wohnhäusern als Fotopostkarten wirklich eine gute Geschäftsidee gewesen war? Wer außer den jeweiligen Bewohner*innen mochte sich für diese Art von Karten interessiert haben? Auf diese Fragen gibt es keine schlüssige Antwort.

Auffällig an den Aufnahmen ist, dass die Gebäude mehrheitlich „über Eck“ ins Bild gerückt sind. Die Bilder legen den Fokus so – bewusst oder unbewusst – meist auf das prominenteste Haus eines Blocks. Denn Eckhäuser wurden oft zuerst gebaut und speziell verziert, weil diese Grundstücke die besten Bauplätze für Immobilienspekulation boten. In den Eckhäusern befanden sich auch die meisten der fast tausend Restaurants, Bierhallen und Cafés – eine Kneipe in jedem zwölften Haus der Stadt! –, was die Serie unter anderem zu einer sehr schönen Dokumentation der Ausgehkultur der neuen Quartiere Zürichs um 1910 macht. Diese Stadt von 1910 ist auch heute noch an vielen Orten sehr präsent und sichtbar, denn von den rund 12.000 Gebäuden auf dem damaligen Gemeindegebiet steht etwa noch die Hälfte.

Ruef-Hirts Bilder sind speziell einfach zu verorten, denn sie sind einheitlich von Hand beschriftet (jeweils Straßenname und Quartier, direkt auf die Glasplatten geschrieben). Dies ist wohl just dem Umstand zu verdanken, dass die Bilder alle als Postkarten erhältlich waren und sich bis auf wenige Ausnahmen nur als solche erhalten haben. Der Großteil der Glasplattennegative wurde in den 60er-Jahren zerstört. Der Vertrieb dieser Ansichtskarten wurde wie damals üblich über lokale Papeterien organisiert.

Geboren wurde Friedrich Ruef am 2. Oktober 1873 in Riken (Aargau). Kurz nach seinem 25. Geburtstag ließ er sich im Herbst 1898 in Zürich nieder. Er wohnte zuerst direkt beim Hauptbahnhof an der Konradstraße 1, bevor er im Frühling 1900 mit seiner Frau Anna Hirt und den drei kleinen Kindern an die Klingenstraße 34 umzog. Die Familie wird 1904 als Ruef-Hirt im städtischen Adressbuch geführt, Vater Friedrich dann erstmals auch als Fotograf mit Spezialität „Landschaftsaufnahmen“. Bereits im April 1904 zogen die Ruef-Hirts nach Affoltern bei Zürich und 1907 schließlich weiter nach Wettingen (Aargau). Dort erstellte der Fotograf eine ähnlich vollständige Dokumentation von den Bauten seines neuen Wohnorts. Diese Bilder sind im Fotoarchiv der Gemeinde Wettingen erhalten geblieben. Gemäß Erzählungen seiner Enkelin ist er damals mangels Geld zum Fotografieren regelmäßig von Wettingen nach Zürich gelaufen (20 Kilometer!) – mit einem Rucksack voller Glasplatten. Und ab und zu fotografierte er auch anderes als nur Häuser: Aus Zürich und Wettingen existieren vereinzelte Postkarten von wichtigen Ereignissen, von Ballonflugwettbewerben und Aviatik-Flugtagen.

Im ersten Weltkrieg bekam Ruef-Hirt zusehends Probleme, an Fotomaterial aus Deutschland heranzukommen. Als er zudem in den 1920ern erkrankte, verließ er seine Familie und zog nach Herisau (Aargau) ins Sanatorium, wo er am 14. August 1927 im Alter von 53 Jahren verstarb. Mehr als tausend seiner Postkarten schenkten seine Nachkommen Ende der 1960er-Jahre der Stadt Zürich. Zu finden sind die Karten auch regelmäßig in Online-Auktionen, meist zu ziemlich stolzen Preisen. Vielleicht haben sich die Karten auch vor 110 Jahren doch besser verkauften, als vorderhand vermutet.

Saro Pepe Fischer, 1. April 2021

 

Die Fotosammlung Ruef-Hirts befindet sich heute im Amt für Städtebau, Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich: http://baz.e-pics.ethz.ch/index.jspx?category=801. Eine Visualisierung von Friedrich Ruef-Hirts Fotospaziergängen durch Zürich auf einer zeitgenössischen Karte wurde während des Schweizer Festivals GLAMHack2021 realisiert: http://glamhack21.kennyfloria.ch/.



Permalink: https://postkarten.bonartes.org/index.php/herausgegriffen-detail/Der-H%C3%A4usersammler-Friedrich-Ruef-Hirt.html

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