Anonyme*r Fotograf*in, ohne Verlag: „Graf Zeppelin“ über Wien am 2. V. 1929, Silbergelatinepapier, ungelaufen; Privatsammlung

Anonyme*r Fotograf*in, ohne Verlag: „Graf Zeppelin“ über Wien am 2. V. 1929, Silbergelatinepapier, ungelaufen; Privatsammlung

Der Zeppelin-Besuch in Wien als Medienspektakel

Am 2. Mai 1929 kam das Luftschiff Zeppelin (LZ) 127 mit dem Namen Graf Zeppelin auf Besuch nach Wien. Es handelte sich hierbei bereits um das dritte Mal, dass ein Zeppelin Wien überquerte, nachdem im Jahr 1913 das LZ 17 Sachsen für Furore gesorgt hatte und Ende März 1929 ein Überflug des LZ 127 stattfand, der jedoch Ernüchterung hervorrief. Denn Graf Zeppelin passierte Wien auf dem Rückweg von einer Orientfahrt aufgrund schwieriger Witterungsbedingungen entgegen seiner Prognosen erst um 3 Uhr nachts und das schwach beleuchtet. „Nur wenige haben ihn gesehen, Hunderttausende gehört.“ titelt am darauffolgenden Tag ein Journalist in der Illustrierten Kronen-Zeitung und verleiht damit der kollektiven Enttäuschung Ausdruck. Denn jede Möglichkeit zur Sichtung eines Zeppelins war ein lange vorbereitetes und sorgfältig inszeniertes Medienspektakel, das viele Zuschauer*innen auf den Plan rief. Zudem wurde auch in Österreich der Bau des LZ 127, des ersten Luftschiffs, das nach dem Ende der Versailler Verträge für eine Inbetriebnahme in Deutschland verwendet werden durfte und das im September 1928 seinen Flugbetrieb aufnahm, mit Spendengeldern unterstützt, sodass man dieses auch in realiter in Augenschein nehmen wollte.

Am 2. Mai 1929 war es dann schließlich so weit: Gegen 9.15 Uhr erreichte der Zeppelin von Friedrichshafen kommend nach vierstündiger Fahrt Wien. Ein mit einer Kamera ausgerüstetes Motorflugzeug setzte zu einem Begrüßungsflug an, von einer auf dem Dach des Konzerthauses provisorisch eingerichteten Radiostation wurde live Bericht erstattet und viele Fotograf*innen postierten sich an Orten, von denen aus sie sich eine möglichst gute Sicht auf den Giganten der Lüfte erhofften. Denn bei jedem Zeppelin-Flug handelte es sich um eine Photo Op (photograph opportunity), also eine Gelegenheit zu fotografieren, die sowohl Fotoreporter*innen als auch Amateure scharenweise ergriffen. Tom Holert beschreibt in seinem Aufsatz „Photo Op. Geschichte als Bildproduktion“ in Heft 95 der Fotogeschichte (2005) die Photo Op als geplantes Event, in dessen Zentrum die Bildfähigkeit des Ereignisses steht. Nach einem viertelstündigen Rundflug nahm Graf Zeppelin Kurs über Ödenburg auf Graz, bevor er dann zu Mittag erneut nach Wien zurückkehrte, wo eine Ansprache über Funk von Hugo Eckener, des bekanntesten Luftschiffkapitäns dieser Zeit, folgte.

Zusätzlich legte noch ein anderes Ereignis Zeugnis des Überflugs ab: Es kam zu einem Abwurf von mehreren Postsäcken (einmal ist von drei, ein andermal von vier die Rede) und einem Blumenbukett mittels Fallschirms. Von Beginn an ist die Luftschifffahrt mit der Postbeförderung verbunden. Waren es ab 1907 zunächst sogenannte Abwurf- oder Meldekarten, die den Fahrtverlauf dokumentieren sollten, erweiterte man sukzessive den Transport um Poststücke für Privatpersonen und Sammler*innen. Sowohl Gäste an Bord als auch Besatzungspersonal schrieben vorzugsweise (Bild-)Postkarten, um von dem Ereignis zu berichten und an ausgewählte Adressat*innen eines dieser begehrten Schriftstücke mit speziellen Zeppelin-Poststempeln zu senden. Aber auch Personen, die nicht selbst mitfahren konnten, hatten die Möglichkeit, mit dem Luftschiff Briefsachen transportieren zu lassen. Brigitte Kazenwandel-Drews tituliert das Jahr 1929 als „Jahr der Luftschiff-Post“ und schreibt in ihrem Buch Zeppeline erobern die Welt (Heidelberg 2006), dass bis zu 100 000 Sendungen auf einem einzigen Flug – wobei diese Höchstwerte überwiegend bei den Transatlantikflügen erreicht wurden – befördert wurden. Ihren Reiz erhielten die aus der Luft abgeworfenen Poststücke durch die nicht kalkulierbare Zufallsregie, die diese besondere Art der Zustellung mit sich brachte. Jede Sendung enthielt zwar den Hinweis, der*die Finder*in möge die Briefstücke zum nächstgelegenen Postamt bringen, und oft sogar zusätzlich eine Münze als Aufwandsentschädigung, aber mitunter kam es dennoch zu ungewollten Entwendungen.

Die hier vorgestellte Echtfotopostkarte ist nicht gelaufen und weist damit keinen Nachweis einer postalischen Zirkulation auf. Allerdings legt sie davon Zeugnis ab, wie kommerzielle Postkarten-Produzent*innen aus dem Wien-Besuch des LZ 127 Profit zu schlagen suchten. Sie war Teil einer zumindest dreiteiligen Serie, die an derselben handschriftlichen Bildlegende zu erkennen ist. Beim Motiv des Luftschiffs über dem Donaukanal und der Urania wird im Zuge einer genauen Lektüre des Bildmotivs deutlich, dass es sich um eine Fotomontage handelt. So ist Graf Zeppelin im Vergleich zu den in Zeitungen abgedruckten Reportagefotografien unverhältnismäßig groß abgebildet, vor allem aber werfen die abgebildeten Passant*innen Schatten auf das Pflaster und scheinen von dem Ereignis über ihren Köpfen gänzlich unbeeindruckt. Tatsächlich erwähnen die überlieferten Zeitungsberichte jedoch für den 2. Mai 1929 wolkenreiches Schlechtwetter sowie große Zusammenkünfte von Menschenmengen. Vielleicht liegt der Grund für die Montage darin, dass man sich nicht von den unkalkulierbaren Umständen der Photo Op abhängig machen wollte oder man hatte bereits beim erwarteten Überflug des Luftschiffs wenige Wochen vorher die Motive vorbereitet. Auf jeden Fall wurde wohlweislich mit der Beschriftung abgewartet, denn erst nachdem das Ereignis tatsächlich stattfand, konnte man dieses zertifizieren.

Christina Natlacen, 31. Januar 2022

 

Wesentliche Informationen zu den beiden Zeppelin-Überflügen Wiens im Jahr 1929 entnahm ich folgender über das Projekt ANNO der Österreichischen Nationalbibliothek zugänglicher Original-Zeitungsberichte: Illustrierte Kronen-Zeitung, 29. März 1929, S. 4; Der Tag, 3, Mai 1929, S. 3; Die Stunde, 3. Mai 1929, S. 3f.; Radio Wien, 10. Mai 1929, S. 525-528.



Permalink: https://postkarten.bonartes.org/index.php/herausgegriffen-detail/Der-Zeppelin-Besuch-in-Wien-als-Medienspektakel-101.html

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