Der schlafende Fiaker – oder die Fotografie als Hilfsmedium
Das Bild zeigt einen Fiaker auf seinem Kutschbock am Stephansplatz in Wien. Was vielleicht erst auf den zweiten Blick auffällt, ist, dass die Karte ein Gemälde und nicht etwa eine Fotografie wiedergibt. Die ausführlichen Herstellerangaben in der Bildunterschrift verraten, dass es sich dabei um ein Motiv des Malers und Bildhauers Josef Engelhart handelt. Wie aus anderen Quellen hervorgeht, entstand das Bild als Gouache bereits 1889. Dass Engelhart das Sujet weiter beschäftigte, belegt seine Skulptur eines Fiakers aus dem Jahr 1938, die heute auf dem gleichnamigen Platz im dritten Wiener Gemeindebezirk steht.
Die vorliegende Postkarte war kein solitäres Sujet, sondern Teil einer Serie, die der Verein vom goldenen Kreuze im Rahmen einer „Ansichtskarten-Lotterie“ im Jahr 1900 auflegte, um die Errichtung und Finanzierung des in Baden bei Wien angesiedelten Kaiserin-Elisabeth-Kurhauses für Staatsbeamte (Architekt: Josef Urban) sicherzustellen. Neben fotografischen Aufnahmen etwa von Straßenszenen und -berufen oder der gerade damals laufenden Wienflussregulierung brachte man zahlreiche Kunstwerke aus öffentlichen oder privaten Sammlungen als Reproduktion ins Postkartenformat. Bei letzteren diente die Fotografie als Bindeglied oder Übertragungsform zwischen der Zeichnung beziehungsweise dem Gemälde und dem Druck. In unserem Fall bewerkstelligte der Fotograf Josef Löwy, Inhaber einer angesehenen Reproduktionsanstalt, die Druckvorlage, genauer: das autotypische Klischee, für die fotomechanische Wiedergabe des Bildes. Den Druck besorgte der nicht minder bekannte Friedrich Jasper.
Die Verwendung der Fotografie als Zwischenverfahren in der Herstellung von illustrierten Postkarten war nicht neu. Bevor Fotografien ab circa 1898 vor allem in Form der fotomechanischen Verfahren Lichtdruck und Autotypie auf Postkarten vervielfältigt wurden, fungierten sie im Fertigungsprozess von Karten häufig als Anregung und bloße Vorlage. So zeichnete man Ansichten von Landschaften und Städten nach einer Fotografie für den lithografischen Druck erst um. Das bot zudem den Vorteil größerer kompositorischer Möglichkeiten oder freierer Gestaltung der Staffage, solche nachgezeichneten Ansichten befriedigten aber wohl auch so manche tradierte Sehgewohnheit im Publikum.
Aber auch der Fiaker als populäres Bildmotiv war auf Postkarten nicht neu, gehörte er damals schon lange zu den etablierten Wiener Typen und beliebten Symbolfiguren der Stadt. Um die Jahrhundertwende verstärkte sich ihnen gegenüber die Attitüde kollektiver Nostalgie. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Fiakergewerbe tatsächlich in einem Umbruch: Durch das Aufkommen neuer Verkehrsmittel wie elektrische Straßenbahn, Fahrrad oder Automobil gerieten sie zunehmend unter Druck (und freilich auch die Einspänner, die anders als die zweispännigen Fiaker nur mit einem Pferd fuhren). Theodor Herzl sah bereits im Jahr 1898 in einem seiner Feuilletons die Krise für die Wiener Fiaker voraus, die praktisch vom „Weltverkehr großer Städte“ überholt worden und deren Tage nun gezählt seien. Ab 1910 machten schließlich auch „Autofiaker“ beziehungsweise „Autotaxis“ den mietbaren Pferdegespannen ernsthaft Konkurrenz, deren Zahl dann auch rapide zu schrumpfen begann. Als 1907 diese Postkarte nochmals herausgebracht wurde, nun allein unter dem Namen Löwys, dessen Unternehmen seit seinem Tod 1902 seine Witwe Mathilde leitete, hatte das Engelhart-Motiv des „schlafenden Fiakers“ einen noch stärkeren nostalgischen Beigeschmack.
Sándor Békési, 29. September 2020
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