Adolf Miethe (Fotograf), Rotophot, Berlin (Verlag), „Weenen: Stadthuis – Vienna: L’hôtel de Ville“ (Serie 1036 – „Original-Miethe-Naturfarben-Postkarte“), um 1904, Dreifarben-Autotypie, Slg. Andreas Gruber

Adolf Miethe (Fotograf), Rotophot, Berlin (Verlag), „Weenen: Stadthuis – Vienna: L’hôtel de Ville“ (Serie 1036 – „Original-Miethe-Naturfarben-Postkarte“), um 1904, Dreifarben-Autotypie, Slg. Andreas Gruber

Die Ansichtskarte und die „Naturfarben“-Fotografie

Das Besondere an der vordergründig unspektakulären Ansichtskarte ist verborgen. Das Wiener Rathaus – perfekt frontal abgelichtet – gehört zu einer Serie von frühesten Reproduktionen von Farbfotografien auf Ansichtskarten (ein noch wenig beachteter Aspekt in der Diskussion um die frühe Farbfotografie). Die „Original-Miethe-Naturfarben-Postkarten“ wurden ab 1904 von der Firma Rotophot in Berlin im Dreifarben-Autotypie-Verfahren hergestellt. Die Bezeichnung „MIETHE PHOT.“ rechts unten weist (Adolf) Miethe als Fotografen aus. Dieser war kein x-beliebiger Fotograf, sondern Fotochemiker, der zusammen mit Arthur Traube 1902 die panchromatische Fotoemulsion patentieren ließ und damit den Grundstein für die weitere Entwicklung der Farbfotografie legte. Seit 1904 auf dem Markt, waren panchromatische Negative erstmals für alle Farben des sichtbaren Spektrums gleich empfindlich, was die Herstellung von Separationsnegativen (auch Farbauszugsnegative genannt) enorm erleichterte. Diese bildeten die Grundlage für den Dreifarbendruck. Praxisorientiert konstruierte der passionierte Fotograf auch die „Prof. Dr. Miethes Dreifarben Camera“, die die Farbfotografie nach dem „System Prof. Miethe“ komplettierte. Mit der Kamera ließen sich Separationsnegative herstellen. Dafür wurde das Motiv dreimal hintereinander durch unterschiedliche Farbfilter (Rot, Grün, Blauviolett) auf einer länglichen Negativplatte nebeneinander belichtet. Danach stellte man von den Negativen Schwarz-Weiß-Diapositive her, die, obgleich schwarz-weiß, die Farbinformationen in entsprechenden Grauwerten beinhalteten. Die drei Dias ergaben farbrichtige Projektionsbilder, wenn sie durch die jeweils gleichen Farbfilter übereinander projiziert oder in Spezialbetrachtern, den Chromoskopen, betrachtet wurden. Aber farbrichtige Bilder gab es nicht nur im Medium der Durchlichtprojektion zu sehen, sondern solche konnten auch gedruckt werden. Aufwendige Verfahren wie der Dreifarben-Pigment- oder -Gummidruck oder die Pinatypie ermöglichten Farbfotografien auf Papier. Breite Marktauglichkeit erlangten diese teuren und komplizierten Verfahren allerdings nie. Überdies konnten von den Separationsnegativen aber auch Druckmatrizen für den Dreifarben(hoch)druck in Cyan, Magenta und Gelb hergestellt werden.

Gedruckte Ansichtskarten nach echten Farbfotos waren jedoch bis nach dem Zweiten Weltkrieg selten. Zwei Gründe können dafür ins Treffen geführt werden. Erstens: Entsprechende Farbkameras waren wenig verbreitet, sodass kaum geeignetes Bildmaterial existierte, auf das die Verlage zurückgreifen konnten. Der zweite Grund liegt in der durchwachsenen Druckqualität: Es gibt zwar ganz fantastisch gelungene Naturfarben-Postkarten, aber oft genug ist das Ergebnis in Farbigkeit, Kontrast und Schärfe flau oder weist Mehrfachkonturen auf. Illustrierte Postkarten, wie die hier abgebildete, konnten definitiv nicht mit den zeitgleich im Handel erhältlichen grellfarbigen Ansichtskarten konkurrieren, die man entweder mit dem Kombinations- oder dem Fotochromdruck erzielte. Beim Kombinationsdruck überdruckte man Schwarzweißdrucke lithografisch mit Farbe. Der Fotochromdruck war ein ausschließlich farblithografisches Verfahren, bei dem ein Schwarzweißfoto als Ausgangspunkt zur Herstellung der Druckmatrizen diente. In beiden Fällen hatte die Farbigkeit nichts mit der realen Farbgebung des Motivs zu tun, sondern oblag dem Ermessen, Talent und der Fantasie des Druckers. Man trimmte die Bilder auf Attraktivität.

Erst in den 1960er-Jahren begannen Ansichtskarten nach echten Farbfotos in Form der Vierfarben-Autotypie und dem Offsetdruck durch maßgebliche Fortschritte in der Farbfoto- und Drucktechnologie den Markt rasant zu erobern. Aber auch in den frühen 1960er-Jahren stellten sie noch eine Besonderheit dar, die immer wieder durch Vermerke wie „Farbaufnahme von …“ herausgestrichen wurde.

Die echte Farbfotografie, welche etwa in Form von chromogenen Farbabzügen um 1950 auf den Markt kam, konnte sich – ganz im Gegensatz zur Silbergelatine-Schwarzweißfotografie – für die Herstellung von Echtfoto-Postkarten nie behaupten. Im allgemeinen Gebrauch verdrängte die kostspieligere Farbfotografie ohnehin erst ab den 1970ern die Schwarzweißfotografie. Spätestens zu dieser Zeit war allerdings der Farboffsetdruck bei der Ansichtskartenproduktion bereits voll etabliert, für das Billigmedium Ansichtskarte kamen Echtfotoverfahren daher nicht mehr in Frage.

In einem Bereich der Ansichtskartenproduktion erlangte die Verwendung von Farbseparationsnegativen jedoch große Bedeutung, nämlich bei der Herstellung von Künstlerpostkarten. Hier stellten ambitionierte Verleger nach Bildvorlagen wie Aquarellen, Zeichnungen oder Gemälden farbige Postkarten im drei- oder vierfarbigen Autotypiedruck her. Die dafür notwendigen Separationsnegative wurden in spezialisierten Reproduktionsanstalten unter kontrollierten Bedingungen gefertigt. Die Farbfotografie hat also in ihren ersten Jahrzehnten überspitzt formuliert das „Laboratorium“ nicht verlassen, das heißt, es war eine Angelegenheit ausschließlich für Spezialisten.

Andreas Gruber, 15. Februar 2024



Permalink: https://postkarten.bonartes.org/index.php/herausgegriffen-detail/Die-Ansichtskarte-und-die-Naturfarben-Fotografie.html

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