Postkartenverlag Donauland: „Wien XIX. Marx Hof“, 1934, Silbergelatinepapier, ungelaufen, Slg. Wien Museum

Postkartenverlag Donauland: „Wien XIX. Marx Hof“, 1934, Silbergelatinepapier, ungelaufen, Slg. Wien Museum

Die Macht der Konvention

Die Februarkämpfe in Wien 1934 und noch mehr ihre Folgen in der Stadt waren auf zahlreichen Ansichtskarten zu sehen. Sie zeigen von Regierungstruppen beschädigte Gemeindebauten oder Arbeiterwohnheime (siehe dazu Martin Keckeis’ Beitrag Nr. 65). Diese Exemplare gehören dem Genre der Ereignispostkarte an und erfüllten damit eine Funktion des Mediums, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bedingt durch neue mediale Konkurrenz praktisch verschwunden ist. Das thematische Spektrum reichte dabei vom Eisstoß an der Donau über Zeppelin-Besuche und Großveranstaltungen bis hin zum Brand des Justizpalastes 1927 oder der Rotunde im Prater 1937. Gerade Fotopostkarten auf Silbergelatinepapier boten ein günstiges Mittel, um über wichtige Ereignisse in der Stadt nahezu tagesaktuell und in Bildform zu informieren. Auch illustrierte Zeitungen brachten damals Abbildungen betroffener Gebäude, allerdings je nach Erscheinungsweise erst Tage später und oft mit politisch tendenziösen Überschriften.

Ob die gängigen Bürgerkriegspostkarten selbst als ein Mittel der austrofaschistischen Regierungspropaganda fungierten, wie es in der zeithistorischen Literatur immer wieder behauptet wird, darf bezweifelt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Verleger nicht im Auftrag handelten, sondern sich schlicht und einfach in opportuner Weise an der erwartbaren Nachfrage am Markt orientierten. Und sie dürften als privatwirtschaftliche Unternehmen in der Regel eher bestrebt gewesen sein, eindeutige politische Positionierungen zu vermeiden, um den potenziellen Abnehmerkreis ihrer Produkte nicht einzuschränken. (Anders verhielt es sich bei eigentlichen propagandistischen Postkarten, deren Vertrieb der Auftraggeber – eine Partei oder andere Organisation – selbst übernahm.) So bestehen die Titel der Karten meist aus knappen topografischen Bezeichnungen wie „Wien, XXI. Floridsdorf Schlingerhof“ oder „Wien, XVI. Arbeiterheim Ottakring“. Einige sind auch mit Datierungen versehen, die den Kontext mit den Ereignissen noch gezielter herstellen. Seltener finden sich erweiterte Überschriften wie zum Beispiel „Zur Erinnerung an den 12. Februar 1934“. Dennoch waren diese Karten vermutlich für viele nicht nur Träger von Bildnachrichten, sondern auch wichtige Memorabilien – je nach politischer Richtung mit unterschiedlicher Botschaft.

Häufig erschienen diese Ansichtskarten anonym, in unserem Fall ist jedoch der Wiener Verlag Donauland durch das Signet auf der Adressseite (ein großes eingekreistes „D“) identifizierbar. Bei touristischen Motiven ist derselbe Verlag, der seit etwa 1930 in diesem Gewerbe tätig war, in der Regel mit Namen und Adresse angegeben, aber auch hier gibt es nicht näher gekennzeichnete Exemplare. Wenige Jahre später hat Donauland auch vom bereits erwähnten Brand der Rotunde Fotopostkarten in Umlauf gebracht. Die vorliegende Karte gehört jedenfalls zu den wenigen dieser Art, welche nicht (nur) die Folgen der Kämpfe, also vor allem die beschädigten Gemeindebauten, sondern die Kampfhandlungen selbst zeigen: in diesem Fall den Beschuss des größten und repräsentativsten Baus des Roten Wien beziehungsweise die dort positionierte Artillerie und die Soldaten. Die Aufnahme dürfte ab dem Vormittag des 13. Februar entstanden sein, der sogenannte „Blaue Bogen“ des Karl-Marx-Hofes ist bereits sichtbar beschädigt.

Von besonderem Interesse ist hier ebenso ein unscheinbares Detail im oberen rechten Viertel des Bildes: eine Wolke. Sie ist das Ergebnis einer nachträglichen Bildmanipulation, indem der weiße Himmel per Retusche, aufgemalt auf das Negativ, um dieses Element ergänzt wurde. In Orts- und Landschaftsansichten waren Sommerwolken (oder je nach Thema auch Gewitterwolken) traditionell ein beliebtes Mittel, um den Himmel als Bildhintergrund zu strukturieren und diesen gleichzeitig abwechslungsreicher und attraktiver zu gestalten. So sind Wolkenretuschen auch auf Fotopostkarten häufig anzutreffen – auch auf anderen Donauland-Karten vom Februar 1934, wenngleich weniger signifikant. Ob die Retusche diesmal eine Rauchwolke oder eine Schönwetterwolke darstellen soll, ist nicht klar. Letzteres ist angesichts anderer Donauland-Postkarten in ähnlicher Manier vor oder nach 1934 jedoch wahrscheinlicher. Tatsächlich würde eine idyllische Wolkenformation in auffälligem Kontrast zum dramatischen Bildinhalt stehen, was beim Medium Postkarte aber nicht besonders verwunderlich wäre. Möglicherweise fühlte sich der/die Fotograf/in bemüßigt, selbst bei einem solchen Motiv traditionelle Bildkomposition und herkömmliche Sehgewohnheiten zu bedienen. In diesem Fall wäre ein bemerkenswertes Bilddokument eines politisch-militärischen Ereignisses entstanden, kombiniert mit einer populären visuellen Konvention.

Sándor Békési, 29. August 2023

Das Wien Museum zeigt noch bis 24. September 2023 im MUSA die Ausstellung Großstadt im Kleinformat. Die Wiener Ansichtskarte.



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