Camillo Kronich (Fotograf), Farbenphotographische Ges., Stuttgart (Verlag): „Rax, 2009 m. Am Seeweg“, Farbdruck nach Autochrom, gel. von Reichenau/Rax nach Wien, nach 1911 (Briefmarke fehlt, Poststempel fragmenthaft); Privatslg.

Camillo Kronich (Fotograf), Farbenphotographische Ges., Stuttgart (Verlag): „Rax, 2009 m. Am Seeweg“, Farbdruck nach Autochrom, gel. von Reichenau/Rax nach Wien, nach 1911 (Briefmarke fehlt, Poststempel fragmenthaft); Privatslg.

Ein Amateurfotograf im Dienst des Bergtourismus

Zwei Damen beim Spazieren auf dem in Niederösterreich und der Steiermark gelegenen Rax-Plateau: Einander zugewandt, scheinen sie gerade in ein Gespräch vertieft zu sein. Im Hintergrund erheben sich mächtig die Lechnermauern, auf denen noch ein paar letzte Altschneefelder sichtbar sind. Die rote Schürze der Person, die einen Schirm als Wanderstock oder als potenziellen Sonnenschutz mit sich führt, sticht als markanter Farbakzent sofort ins Auge. Während die alpine Landschaft von den Grautönen des Kalksteins, dem hellen Grün der Wiesen und dem Dunkelgrün der Latschen bestimmt wird und ein lichter hellblauer Himmel das Naturidyll überspannt, wirkt das leuchtende Kleidungsstück wie ein bewusst gewähltes Kompositionsmittel.

Die fotografische Vorlage zur Postkarte stammt von Camillo Kronich, dessen Name mit der Alpin- und Tourismusgeschichte der Rax in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unmittelbar verbunden ist. Seit 1903 fungierte er nach seiner Mutter als zweiter Pächter des unter der Schirmherrschaft des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1893 erbauten Otto-Schutzhauses, einer damals ganzjährig bewirtschafteten Hütte im östlichen Bereich des Gebirgsmassivs oberhalb von Hirschwang. Neben seinen Funktionen als Hüttenwirt mit gehobenen gastronomischen Ansprüchen, Bergretter und touristischer Unternehmer schrieb sich Kronich zusätzlich durch seine Bemühungen, die Rax anhand neuer Wege und Klettersteige zu erschließen sowie das Skifahren als Wintersport zu etablieren, in die Annalen dieses beliebten Wiener Hausberges ein. Darüber hinaus fotografierte er – eine Tätigkeit, die mit seinen anderen Aktivitäten in direktem Zusammenhang gesehen werden muss.

Bislang ist nicht bekannt, wie Camillo Kronich zum Fotografieren gekommen ist. Eine Rolle könnte hierbei der bekannte Pionier der Bergfotografie Fritz Benesch gespielt haben, der seit mindestens 1898 mit seiner Familie bekannt war, da er sie in diesem Jahr in einem Artikel über den Schneeberg und die Rax in der Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins lobend erwähnt. Verbürgt ist jedenfalls, dass Kronich 1907 für seine bei der Internationalen Sport-Ausstellung in Berlin eingereichten Fotografien mit einer Goldmedaille prämiert wurde. Seine intensivste fotografische Tätigkeit fand in den Folgejahren statt und hielt zumindest bis zur Eröffnung der Rax-Seilbahn im Jahr 1926 an, die ihm neue Motive ermöglichte. Er publizierte seine Aufnahmen in Büchern und Zeitschriften, stellte sie in Alben zusammen, fertigte Glasdiapositive als Grundlage für Lichtbildvorträge an und brachte außerdem seine Fotografien als Postkarten heraus, teils im Selbstverlag, teils bei anderen Häusern.

Die Adress-Seite der Postkarte liefert mit den Angaben „Rax, 2009 m.“, „Am Seeweg.“ und „Ottohaus“ zunächst touristisch verwertbare Informationen, die Auskunft über die Gipfelhöhe des Berges (ansonsten immer mit 2007 Höhenmetern angegeben), einen Weg, den man möglicherweise selbst erwandert hat, und jene Hütte, in die man vorzugsweise einkehren soll, geben. Zudem finden sich noch zwei weitere Hinweise, die für Fotohistoriker*innen von Interesse sind. Zum einen wird das Motiv als „Amateuraufnahme“ klassifiziert – durchaus eine Seltenheit im Bereich der fotografisch illustrierten Postkarte. Zum anderen lässt sich im Markenfeld folgendes Signet erkennen: ein auf dem Kopf stehendes Dreieck, dem die Buchstaben „F Ph / G“ und die Verlagsnummer „3021“ eingeschrieben sind. Was hat es mit diesen beiden Angaben auf sich?

Die Bezeichnung der Fotografie als Amateuraufnahme beruht tatsächlich nicht auf Tiefstapelei, sondern muss im historischen Kontext betrachtet vielmehr als Zeugnis eines fotografischen Selbstverständnisses gewertet werden. Camillo Kronich war spätestens ab 1910 Mitglied im „Wiener Lichtbildnerklub“ und stand zudem in Kontakt mit dem „Wiener Amateurphotographenklub“, wo er im selben Jahr seine als „Naturfarbenbilder“ bezeichneten Fotografien vorführte. Die in Vereinen organisierten Amateurfotograf*innen pflegten einen regen Austausch auf nationaler und internationaler Ebene und setzten sich zum Ziel, ohne kommerziellen Verwertungsdruck, aber dennoch mit großer Ernsthaftigkeit die Fotografie auf technischer und künstlerischer Ebene weiterzuentwickeln. Das Motiv der Karte, das genrehafte Züge trägt und sich nicht dem Anspruch auf topografische Genauigkeit verschreibt, entspricht zu einem hohen Grad dieser Amateurästhetik nach 1900.

Dank des Kürzels „F Ph / G“ lässt sich Kronichs fotografische Praxis als Amateur weiter präzisieren. Dieses steht für die Farbenphotographische Gesellschaft – einer 1911 von Hans Hildenbrand in Stuttgart mit dem vorrangigen Ziel der Herstellung von Farbpostkarten gegründeten Firma –, die die Karte druckte und verlegte. Im Gegensatz zu Verfahren wie dem kolorierten Lichtdruck, dem Autochromdruck (eine Kombination von Autotypie und Chromolithografie) oder dem Photochromdruck, die Farbpostkarten anhand eines Schwarzweißnegativs, dem Farbe – gelegentlich ganz und gar nach Gutdünken des Druckers – während des Druckprozesses hinzugefügt wurde, herstellten, diente Hildenbrand bereits eine Farbfotografie, eben ein „Naturfarbenbild“, und zwar ein Autochrom, als Ausgangspunkt. Diese 1903 von den Brüdern Auguste und Louis Lumière erfundenen und ab 1907 weltweit vertriebenen Glasplatten ermöglichten mithilfe eines Farbrasters erstmals, mit einer einzigen Belichtung eine Farbfotografie herzustellen. Dass Kronich seine auf der Rax entstandenen Autochrome nicht nur seinen Klubkolleg*innen im Zuge seiner Lichtbildvorträge zeigte, sondern diese auch breitenwirksam als Postkarten verkaufte, zeugt von einer geschickten Mehrfachverwendung seiner fotografischen Resultate und seiner Mission, die Rax als attraktives Ausflugsziel für eine breite Gesellschaftsschicht touristisch zu bewerben.

Christina Natlacen, 13. April 2021

 

Meine Recherche zu Camillo Kronich verdankt dem Aufsatz von Otto Braun im Ausstellungskatalog Die Eroberung der Landschaft. Semmering, Rax, Schneeberg (herausgegeben von Wolfgang Kos, Wien: Falter, 1992) sowie der Bio-Bibliografie zur Fotografie in Österreich grundlegende Informationen.



Permalink: https://postkarten.bonartes.org/index.php/herausgegriffen-detail/Ein-Amateurfotograf-im-Dienst-des-Bergtourismus.html

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