

Eine Farbgebung nach eigenen Gesetzen
Die vorliegende Postkarte mit einer Ansicht der k. k. Hofoper vom Kärntner Ring aus ruft uns eindrücklich in Erinnerung, dass in der Frühzeit des Mediums die Farbgebung von der Wirklichkeit weitgehend entkoppelt war. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war es weder möglich, Farbfotografien als Massenware herzustellen, noch diese drucktechnisch zu vervielfältigen. In Folge war man bei der Herstellung fotografisch illustrierter Ansichtskarten darauf angewiesen, den Druck von Schwarz-Weiß-Fotografien mit verschiedenen Techniken der Kolorierung zu kombinieren. In der Regel wurde Farbe durch das Verfahren der Lithografie hinzugefügt, so etwa beim Autochromdruck in Kombination mit der Autotypie oder beim farbenprächtigen Photochromdruck in Kombination mit der Fotolithografie. Zudem wurden Postkarten auch mittels Schablonen handkoloriert, meist von Personen, die das abgebildete Motiv nicht selbst vor Augen hatten. Alle diese Bestrebungen, Postkarten farbig zu gestalten, stellen zu einem hohen Grad eine Interpretation der natürlichen Gegebenheiten dar. Erst rund um 1960 begann mit der umfassenden Verbreitung des Offset-Druckverfahrens bunte Farbigkeit in der Welt der Ansichtskarte zu dominieren, die auf einem fotografischen Farbklischee basierte.
Bei der Ansicht der Hofoper handelt es sich um einen Autochromdruck, einen der geläufigsten kombinierten Farbdruckverfahren nach 1900. Zumindest zwei der drei hier verwendeten Farbzonen gehörten dem Standardrepertoire an: Dieses betrifft das Blau der Himmelszone, das sukzessive sanft in einen Rosaton übergeht, um die Lichtspiegelung zum Horizont hin zu markieren. Zusätzlich wurde der untere Kartenbereich mit einem hellen Smaragdgrün markiert. Auffällig ist, dass die drei Farbstreifen nur bedingt mit dem fotografischen Motiv zusammenspielen. Die hier praktizierte Farbgebung hätte zweifelsohne besser als Folie für eine Naturlandschaft statt für die vorliegende Stadtansicht gepasst. Anstatt einer realistischen Farbgebung erhält man vielmehr den Eindruck einer koloristischen Abstraktion. Dies hängt insbesondere damit zusammen, dass die Postkarte im Grunde farblich nicht fertig ausgearbeitet ist. Der Vergleich mit anderen im gleichen Druckverfahren hergestellten Karten – wie beispielsweise jenen aktuell 253 Stück in der Onlinesammlung des Wien Museum – macht deutlich, dass auf diesen in der Regel noch zusätzlich die abgebildeten Motive entlang ihrer Konturlinien koloriert wurden: Baumlaub in dunklem Grün, Dächer in Rot, Häuserfassaden in einem Farbton analog zu verschiedenen Baumaterialien, Straßen meist in hellem Beige und Frauen- und Kinderkleidung mitunter in einer bunten Farbpalette.
Auch heute noch ist das Bedürfnis, schwarz-weiße Bilder aus der Vergangenheit als vermeintlich naturgetreue Farbdarstellungen wiederzugeben, groß. Mittlerweile werden Algorithmen dazu eingesetzt, um historische Fotografien farbig zu gestalten. Die Ansichtskartensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek präsentiert auf ihrer Homepage einen Einblick in einige ihrer Ergebnisse, im Original schwarz-weiße Karten mittels künstlicher Intelligenz einzufärben. Dazu hat sie Postkarten mit einer Public Domain aus ihrem Bestand ausgewählt, um diese anhand einer Open-Source-Software kolorieren zu lassen. Auch hier werden Bilder erzeugt, die mit der Realität nichts gemeinsam haben, denn die Bilddaten, mit denen die Künstliche Intelligenz trainiert wird, stellen kolorierte Ansichtskarten aus der Frühzeit dar, wo – wie anhand der vorliegenden Karte dargelegt – der Farbton durch zusätzliche Druckverfahren künstlich hinzugefügt wurde. Es scheint, als ob seit den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die farbige Gestaltung ungebrochen ein wichtiges Kriterium für die Attraktivität der fotografisch illustrierten Postkarte geblieben ist. Damals war ein zusätzlicher Farbdruck ein wichtiges Gestaltungselement, um eine Karte aus den vielen angebotenen Motiven herausstechen zu lassen und ihren Absatz zu fördern. Heute soll die Buntheit der Ansichtskarten das mittlerweile historisch gewordene Schwarz-Weiß der analogen Fotografie übertünchen und den Motiven mehr Lebendigkeit einhauchen. In beiden Fällen ist es weniger relevant, wie nah sich das Kolorit an den Gesetzen der Wirklichkeit orientiert, sondern die Farbe wird vielmehr um ihrer selbst willen geschätzt.
Christina Natlacen, 22. April 2025
Das Kolorierungsprojekt mittels KI der ÖNB siehe https://labs.onb.ac.at/de/topic/akon-color/. Umfassende Informationen zu Farbdruckverfahren bei Postkarten siehe Postkartensammlung. GrazMuseum Online (https://gams.uni-graz.at/archive/objects/context:gm/methods/sdef:Context/get?mode=technik) und Andreas Grubers Beitrag „Farben, Mondschein und Lichtdruck“ im Wien Museum Magazin (https://magazin.wienmuseum.at/reproduktionstechniken-und-materialitaet-von-ansichtskarten).
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