

Nachkriegsmoderne im Bild
Wir sehen das heute noch bestehende Hochhaus am Matzleinsdorfer Platz im 5. Wiener Gemeindebezirk unmittelbar nach seiner Fertigstellung im Jahr 1957. Der Vordergrund ist von einem Pkw dominiert, und der bei Ansichtskarten häufig anzutreffende Schönwetterhimmel wurde noch durch retuschierte Wolken in Schwarz-Weiß verstärkt. Ein Bild, das in vielerlei Hinsicht für das Ende der Wiederaufbauzeit und den Optimismus der beginnenden „Wirtschaftswunderjahre“ stehen kann. Die beiden wesentlichen Bildelemente, das Hochhaus und das Automobil, vermittelten damals Fortschritt, Modernität und Wohlstand.
Es handelt sich hier um das erste Hochhaus der Gemeinde Wien, was auch die Widmungstafel an der Hauswand mit einem gewissen Stolz festhält. Zwar gab es auch im Roten Wien der Zwischenkriegszeit bereits einschlägige Entwürfe – so etwa im nahegelegenen Reumannhof, dessen repräsentative Mittelpartie ursprünglich bereits Mitte der Zwanzigerjahre als Hochhaus geplant war –, letztlich entstand jedoch erst 1932 in der Herrengasse mit 52 Metern das erste moderne Hochhaus Wiens als privates Bauvorhaben. Auch in der Nachkriegszeit war das Matzleinsdorfer Hochhaus nicht das erste Gebäude dieser Art und stand gewissermaßen im Schatten des 1955 eröffneten Ringturms der Wiener Städtischen-Versicherung mit seinen 73 Metern (ohne Lichtsäule).
Unser „Wohnhochhaus“, wie es auch hieß, war immerhin 68 Meter hoch und sollte das Zentrum der Gemeindebauanlage Theodor-Körner-Hof bilden. Das Gebäude entstand nach Plänen von Ladislaus Hruska und Kurt Schlauß und sollte auch dazu dienen, die Zweckmäßigkeit von Hochhäusern für weitere Gemeindebauten zu prüfen. Die Rathauskorrespondenz sah darüber hinaus ein „neues, würdiges, weithin sichtbares Wahrzeichen“ der Stadt.[1] Dass dieser Anspruch zumindest für diesen Stadtteil nicht unrealistisch war, dürfte den Verlag dazu motiviert haben, diese Karte aufzulegen.
Das Besondere am Haus – neben seinem Hochhauscharakter – war aber auch, dass es deutlich mehr Komfort bot als gewöhnliche soziale Wohnhausbauten: Aufgrund seiner Höhe war es die erste städtische Wohnhausanlage in Wien, die eine Zentralheizung und – als eine weitere Annehmlichkeit für die Mieter:innen – eine Mühlabwurfanlage erhielt. Selbstverständlich war das Gebäude auch mit Personenaufzügen ausgestattet, die im sozialen Wohnbau erst seit 1955 ab fünf Etagen vorgeschrieben waren. Auf den 20 Stockwerken verteilten sich rund 100 Wohnungen. Neben einem Dutzend Geschäftslokalen beherbergte das Haus anfangs auch eine Aussichtsterrasse und ein Tanzcafé im Dachgeschoss. Jedenfalls galt das prestigeträchtige Haus in seinen ersten Jahren als prominente Adresse: Unter anderem lebten hier Kronenzeitung-Herausgeber Hans Dichand und der spätere Bürgermeister Helmut Zilk.
Nun zum Automobil, einem Vauxhall Victor der Serie F. Dieser wurde ab 1957 vom gleichnamigen britischen GM-Tochterunternehmen produziert, war also zum Zeitpunkt der Aufnahme gerade neu auf dem Markt. Er galt als ein Modell der oberen Mittelklasse und war mit dem deutschen Opel Rekord vergleichbar. Es war wohl kein Zufall, dass der höherpreisige Wagen derart prominent ins Bild gesetzt wurde: Er symbolisierte die einsetzende Breitenmotorisierung und die neue Konsumgesellschaft nach westlichem Vorbild. Zudem entsprach er dem (zumindest teilweise) besserverdienenden Zielpublikum des Gebäudes. In der Motorisierung der Arbeiter und Angestellten selbst sah die Sozialdemokratie damals die Manifestierung des sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegs und damit ein erstrebenswertes gesellschaftspolitisches Ziel.
Das Wohnhochhaus und das Fahrzeug verbanden auf diese Weise kommunale Daseinsfürsorge mit Privatbesitz – eine Kombination, die in dieser Ausprägung speziell in Wien als eine wesentliche Basis der Nachkriegsmoderne fungierte. Somit erweist sich diese Ansichtskarte als ein getreues Sinnbild dieser Phase der Stadtgeschichte.
Sándor Békési, 4. Juli 2025
[1] Rathaus-Korrespondenz, 11. November 1957, Blatt 2238.
Permalink: https://postkarten.bonartes.org/index.php/herausgegriffen-detail/Nachkriegsmoderne-im-Bild.html