Sämtliche Dienstleistungen auf einen Blick
Die Besonderheiten eines amerikanischen Frisiersalons sind typischerweise eine im Vergleich zu den europäischen Pendants überschaubare Anzahl angebotener Dienstleistungen, oft beschränkten sich diese überhaupt auf Männer-Kurzhaarschnitte sowie Rasur und Bartpflege. Wie die Bildseite verrät, führte Emil Jahnke vermutlich ab etwa 1900 den ersten solchen Laden in Wien an einer noblen Adresse in der Innenstadt. Die genannte Passage bei der Kärntner Straße in Höhe der Nummer 8 ist seit 1901 als Kärntner Durchgang verzeichnet. Im selben Gebäude, auch als Palais Royal bekannt, firmierte zudem ein Lederwarengeschäft sowie mit der Pension Savoy ein Hotel „erster Klasse“. Der Salon befand sich im Hochparterre, war also von außen für Laufkundschaft kaum wahrnehmbar. Die Ansichtskarte als virtuelle Auslage ersetzte hier die nicht vorhandene Außenwirkung. Dessen ungeachtet schien das Geschäft über die Maßen gut zu laufen, jedenfalls wollte Jahnke den in Fachkreisen angesehenen Betrieb bereits 1904, so der Besitzer in einer Verkaufsanzeige, wegen „Überbürdung“ wieder abstoßen. 1912 schließlich wechselte der Herrenfriseur ins Gastgewerbe und übernahm das Café Wögerer am Schottenring. Dieses Geschäftsfeld erweiterte er um ein Kinotheater, das er zusammen mit einem Gesellschafter bis zu seinem Ausstieg 1915 betrieb.
Die Fotografie, hier als Autotypie reproduziert, zeigt beispielhaft jede Station im Laden: von den wartenden Herren beim Zeitunglesen auf der mittig platzierten Sitzbank über die Feinarbeiten nach erfolgtem Haarschnitt beziehungsweise abgeschlossener Rasur bis hin zu einer Maniküre, die bereits über die eingangs erwähnten limitierten Dienstleistungen hinausging. Die Idee, die zeitlich aufeinander folgenden Tätigkeiten simultan zu zeigen, stammt sicherlich von Marianne Strobl, rechts unten signierte sie selbstbewusst mit „Marianne Strobl & Comp. ph.“. Das „ph“ steht für „photographiert“. Strobl (1865–1917), die erste Industrie-Fotografin des Landes sowie Spezialistin für Blitzlichtaufnahmen, war bekannt für ihre durchdachten Kompositionen: neben Gaststätten, Fabriken und Privathäusern lichtete sie auch die größten Baustellen im Zuge der Modernisierung in der ehemaligen Habsburger Monarchie mit Schwerpunkt auf der Metropole Wien ab. Das Ergebnis dieser Arbeiten erhielten die Auftraggeber – Bauunternehmen, Verlage oder Privatpersonen – als aufwändig gestaltete Alben und Mappenwerke mit Originalabzügen. Die Unternehmer verwendeten die Aufnahmen zudem in gedruckten Broschüren zur Bewerbung innovativer Bautechniken in ihren Portfolios.
Druck und Verlag übernahm Hans Moessmer & Sohn, vormals Rollinger & Moessmer, eine „Buchdruckerei, Lithographie und Steindruckerei“ in Wien-Meidling. Ihre zunehmenden, auf den Sohn Carl zurückgehenden Ambitionen in der Sparte Kunstdruck mündeten im Zusammenschluss mit C. Angerer & Göschl, der Institution der Reproduktionstechnik in der Monarchie schlechthin. Zugleich fungierte die Druckerei ab 1901 zumindest kurzfristig auch als Herausgeberin eigener Publikationen, beispielsweise des Modejournals „Die Wienerin“. In einschlägigen Blättern wie der Beilage zum „Neuigkeits-Weltblatt“, dem „Ansichtskarten-Sport“, warb sie für „Souvenir-Ansichten und Ansichtskarten in bester Ausführung“; darunter zahlreiche weitere Motive von Marianne Strobl. Die vorliegende, ungelaufene Karte diente offensichtlich als Sammlerstück, darauf verweisen die Stempel auf der Adressseite, vermutlich ein Exlibris und eine Inventarnummer.
Martin Keckeis, 23. Oktober 2025
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