Ludwig Grillich (Fotografie u. Verlag), Wien: „Histor. Museum der Stadt Wien: Waffensammlung: Türk. Waffen u. Trophäen“, um 1910, Lichtdruck, ungelaufen, Sammlung Wien Museum

Ludwig Grillich (Fotografie u. Verlag), Wien: „Histor. Museum der Stadt Wien: Waffensammlung: Türk. Waffen u. Trophäen“, um 1910, Lichtdruck, ungelaufen, Sammlung Wien Museum

Schausammlung als Motiv

Vor kurzem wurde die neue Dauerausstellung des Wien Museums eröffnet. Ein Anlass, daran zu erinnern, dass bereits die erste Schausammlung der Vorläuferinstitution, des damaligen Historischen Museums der Stadt Wien, zum Ansichtskartenmotiv avancierte.

Die vorliegende Karte war Teil einer nicht nummerierten Serie, die der Hoffotograf Ludwig Grillich vermutlich um 1910 herausgab. Die insgesamt 25 erhaltenen Motive zeigen unter der gemeinsamen Überschrift „Histor. Museum der Stadt Wien“ verschiedene Räume, Großobjekte und Wandabwicklungen im Rathaus, in dem seit der Eröffnung 1888 die Schausammlung des Historischen Museums untergebracht war. Diese hatte man in vier Abteilungen gegliedert: I. Abteilung: Denkmale des Stephansdomes, archäologische Funde, Grab- und Votivsteine; II. Abteilung: Stadtpläne, Stadtansichten, Ereignisse, Typen des „Wiener Volkslebens“; III. Abteilung: Abbildungen der Bürgerwehr, Urkunden, Zunftgegenstände, Gedenkpokale, Münzen und Medaillen sowie Porträts, „Reliquien“ und Handschriften von Wiener Dichtern, Komponisten und Künstlern; IV. Abteilung: Waffensammlung aus dem Bürgerlichen Zeughaus.

Die Museumsräume im Rathaus verfügten insgesamt über eine verzweigte und recht kleinteilige Raumstruktur. Gerade diese dürfte jedoch einer damals bevorzugten Aufstellung nach thematischen und provenienzbezogenen Ensembles eher entgegengekommen sein. Die Präsentationsformen orientierten sich – neben dem erwähnten, von National- und Historischen Museen übernommenen „Abteilungsmodell“ – vor allem am Modus der malerischen Ensembles und kultureller Gesamtbilder. Den Einzelobjekten wurde wenig eigene Aussagekraft zugestanden, detaillierte Objektinformationen waren selten. Die Gegenstände wurden häufig gruppiert und in mehrreihiger Hängung gezeigt. Charakteristisch für lokalhistorische Sammlungen war zudem die Vereinigung von Objekten in sogenannten „besonderen Zimmern“ nach dem Stubenprinzip, benannt nach der betreffenden Persönlichkeit und möglichst originalgetreu als Arbeits- oder Sterbezimmer eingerichtet beziehungsweise nachgebaut. So gab es im Rathaus um 1910 bereits ein „Grillparzer-Zimmer“. Weitere – wie auch ein eigener Schubert- und Beethoven-Raum – sollten in einem geplanten Neubau folgen. Doch die vier Abteilungen des Historischen Museums und damit große Teile der permanenten Schau blieben bis zum Zweiten Weltkrieg im Rathaus und im Wesentlichen unverändert.

Die gegenständliche Serie spiegelt die vier Abteilungen der Schausammlung auf sehr ungleiche Weise wider. Der Fotograf widmete der Waffensammlung nicht weniger als zwölf Karten (also fast die Hälfte der Motive). Diese beinhaltete allerdings nicht nur Rüstungen und verschiedene Waffengattungen, sondern auch Fahnen, Büsten und „Trophäen“ wie etwa den Schrein mit dem vermeintlichen Schädel von Kara Mustafa (siehe hier im „Türkensaal“ in der Bildmitte, seit 2006 auf dem Wiener Zentralfriedhof bestattet). Einen weiteren Schwerpunkt bildeten die „Reliquien“ von Mozart, Schubert und Beethoven oder das „Zimmer“ von Franz Grillparzer.

Die Postkarten des Verlages Grillich waren wohl die ersten Aufnahmen dieser Art aus der Dauerausstellung und wurden 1912 direkt vom Fotografen für die Museumssammlung angekauft. Der relativ große Umfang der (vermutlich vollständigen) Motivserie könnte ein Hinweis darauf sein, dass sie im Auftrag des Museums entstanden ist. Ein einschlägiges Aktenstück ist jedoch nicht vorhanden.  Hingegen befindet sich eine Stereofotografie-Serie von Grillich im Museumsbestand, die mit 1905 datiert ist und von der Magistratsabteilung XXII. für „Amtsbedürfnisse“ übermittelt wurde. (Die Provenienz, die Seltenheit der Motive, die nicht am Markt erhältlich waren, und die fehlende Beschriftung der Untersatzkartons lassen eher hier auf eine Auftragsarbeit für die Stadt Wien schließen.) [1] Von den über 200 Wien-Motiven betreffen dreizehn das Museum im Rathaus, von denen wiederum einige auch in unserer Ansichtskartenserie vertreten sind. Es ist daher anzunehmen, dass Grillich seine Fotomotive aus dem Rathaus mit ein paar Jahren Verspätung auch auf Ansichtskarten als Zweitverwertung nutzte. Dies würde auch das nahezu quadratische Format der Postkartenbilder erklären. Grillich produzierte zu dieser Zeit Ansichtskarten auch für andere öffentliche Institutionen in Wien (darunter das K. u. K. Heeresmuseum im Arsenal oder das Reichsratsgebäude, das heutige Parlament). Weitere vergleichbare Postkartenserien mit Motiven aus der Schausammlung des Historischen Museums der Stadt folgten um 1930 (Hersteller: Postkarten-Industrie A. G., Wien) und um 1960 (Hersteller unbekannt; wahrscheinlich war das Museum der Auftraggeber).

Abschließend, und damit zurück in die Gegenwart, mag der vergleichende Hinweis genügen, dass im neu eröffneten Shop des Wien Museums am Karlsplatz zwar einzelne freigestellte Leitobjekte der Dauerausstellung auf Ansichtskarten angeboten werden, jedoch (noch) nicht ganze Räume oder Objektgruppen.

Sándor Békési, 5. Jänner 2024

 

[1] Ich danke für diese Informationen recht herzlich Helfried Seemann.



Permalink: https://postkarten.bonartes.org/index.php/herausgegriffen-detail/Schausammlung-als-Motiv.html

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