Liliput-Verlag: „Wien 1. Oper“ aus der Serie „Verwüstetes Wien“, 1945, Autotypie, ungelaufen; Privatsammlung; Cover der Sammelmappe, Photoinstitut Bonartes, Wien

Liliput-Verlag: „Wien 1. Oper“ aus der Serie „Verwüstetes Wien“, 1945, Autotypie, ungelaufen; Privatsammlung; Cover der Sammelmappe, Photoinstitut Bonartes, Wien

Liliput-Verlag: „Wien 1. Oper“ aus der Serie „Verwüstetes Wien“, 1945, Autotypie, ungelaufen; Privatsammlung; Cover der Sammelmappe, Photoinstitut Bonartes, Wien

Trümmeransichten

Postkarten, die Städte und Gebäude zeigen, stellen jenes Medium dar, das die jahrhundertalte Tradition der Vedute bis heute fortführt. Für topografische Ansichten werden bevorzugt repräsentative Blickwinkel gewählt, die sich auf bereits etablierte Sehkonventionen stützen. Ziel ist das visuelle Feiern der touristisch reizvollen Architektur eines konkreten Ortes sowie die Gewährleistung seiner einfachen Wiedererkennbarkeit.

Wie sieht es jedoch mit der Repräsentation von Gebäuden aus, die Spuren der Versehrtheit aufweisen? Finden diese auch Eingang in das Medienformat der Ansichtskarten und wenn ja, unter welchen ästhetischen Bedingungen? Ich begab mich konkret auf die Suche nach Postkarten, die das im Zuge des Zweiten Weltkriegs zerbombte Wien zeigen. Gefunden habe ich bislang eine einzige Serie, aus welcher ich eine Karte exemplarisch herausgreifen möchte. Sie zeigt auf billigem Karton in grobem sepiafarbenem Rasterdruck die Staatsoper, deren Verfasstheit sich erst bei genauem Hinsehen offenbart: So ist beispielsweise von dem Kupferdach lediglich der ausgebrannte Dachstuhl übriggeblieben, die zerstörten Fenster der Loggia wurden behelfsmäßig mit Pressspanplatten verkleidet und auf der Seitenfassade ist ein Flaschenzug zu sehen, der für Reparaturarbeiten errichtet wurde. Auf der Rückseite wird die Karte als Teil der Serie „Verwüstetes Wien“ ausgewiesen, für die sich der Liliput-Verlag verantwortlich zeigt.

Die Serie als Ganzes wurde zusätzlich als einzelne lose Bilder ohne Postkartendruck in einer Sammelmappe unter dem Titel „Aus dem verwüsteten Wien. 24 Bilder“ publiziert. Das Cover zeigt den von lodernden Flammen umtosten Südturm des Stephansdomes in grafisch abstrahierter Form. Weitere Informationen, wie etwa ein Hinweis auf die Datierung oder ein Name eines*r Urhebers*in, fehlen gänzlich; die bibliografischen Angaben der Wienbibliothek im Rathaus, wo die Mappe dokumentiert ist, weisen das Jahr 1945 als Zeitpunkt der Veröffentlichung aus. Auch zu dem Verlag existieren keine gesicherten Daten; der Zusatz „Vienna“, der sich auf dem Cover der Mappe findet, lässt die Vermutung aufkommen, dass die britische oder US-amerikanische Besatzungsmacht die Publikation in die Wege geleitet haben könnten. Drei Viertel der Motive stammen aus dem 1. Bezirk, wobei sich neben Orten in der Inneren Stadt besonders viele Ringstraßengebäude finden: außer der Staatsoper sind dies das Kunsthistorische Museum, das Parlament, das Burgtheater, das Rathaus und die Universität. Ein weiterer Motivcluster betrifft den Donaukanal, wo neben Franz-Josefs-Kai, Urania und Dianabad vor allem die zerstörten Brücken bildwürdig sind. Aus den restlichen Bezirken sind abgesehen vom touristisch bekannten Schloss Schönbrunn noch Zerstörungen im 9. und 17. Bezirk Teil der Serie geworden.

Im Vergleich mit der Ikonografie der Trümmerfotografie, die oft in effektvollen Nahansichten auf das Offensichtliche und Drastische von Gebäudezerstörungen abzielt, bleiben die Postkarten aus der Serie „Verwüstetes Wien“ vielmehr dem Genre der touristischen Ansicht verhaftet. Auch wenn auf einigen Motiven die Schäden vordergründiger zu erkennen sind als auf dem hier gezeigten Beispiel der Oper, so zeichnen sich doch beinahe alle Ansichten durch einen traditionellen Blickwinkel auf die repräsentative Fassadenseite aus. Passant*innen treten in der mit der Vedute in Zusammenhang stehenden Form der Staffagefigur auf. Der Alltag scheint sich schon so weit normalisiert zu haben, dass anwesende Personen von den auf einigen Motiven vorhandenen Schuttbergen keine Notiz mehr nehmen. Die vorliegende Postkartenserie ähnelt demnach vielmehr einem klassischen fotografischen Mappenwerk für Tourist*innen als einer Ruinenästhetik. Die Konvention der schönen Ansicht, welche der Postkarte von Beginn an eingeschrieben ist, bleibt gewahrt. Dies erklärt sich dadurch, dass es sich um kulturell besonders bedeutsame und identitätsstiftende Gebäude handelt, die nur temporär als ein Memento für die traumatischen Kriegsereignisse signifiziert werden sollten und denen eine Funktion als touristische Marker (Dean MacCannell) weiterhin eingeschrieben bleibt.

Christina Natlacen, 18. April 2023



Permalink: https://postkarten.bonartes.org/index.php/herausgegriffen-detail/Truemmeransichten.html

Zurück