„Unsere Fabrik“ mit Markenkontrollautomat
Im weiten Bogen zwischen touristischen Klischeebildern und sozialhistorisch interessanten Details sind im Themenspektrum der illustrierten Postkarte fast täglich Entdeckungen zu machen, so auch im vorliegenden Fall: Die dreiteilige Mehrbildkarte zeigt die Österreichischen Schuckert-Werke in Wien-Brigittenau. Das Unternehmen, eine Tochter der Nürnberger Elektrotechnikfirma Schuckert & Co., bezog im Jahr 1899 den neu errichteten Fabrikkomplex in der Vorgartenstraße. Dies dürfte der Anlass für die Produktion der vorliegenden Ansichtskarte gewesen sein. Wer die Fotografie und die Karte anfertigte, ist nicht bekannt. Vermutlich wurde sie im Eigenverlag, das heißt im Auftrag und Vertrieb von Schuckert & Co. selbst, hergestellt und diente der Werbung und Selbstdarstellung der Firma.
Eine der beiden größeren Teilansichten trägt die Überschrift „Marken Control-Automat“ und zeigt eine (gestellte) Situation am Fabrikeingang. Mechanische Arbeitszeitkontrollen dieser Art wurden hierzulande ab der Jahrhundertwende vor allem in Großbetrieben eingeführt. Mit Hilfe eines Automaten sollte die „moderne Betriebskontrolle“ und „Arbeiterkontrolle“ einfacher und schneller werden. Dies war wahrscheinlich der Grund dafür, dass ein solches Gerät überhaupt als Motiv auf eine Postkarte kam, passte doch ein neuartiger technischer Apparat grundsätzlich zum Image einer modernen Technikfirma. Zudem signalisierte es gute Organisation und Effizienz – vor allem aus Sicht der Arbeitgeber wohlgemerkt. Wie dieser Apparat genau funktionierte und worin das „automatische Kontrollverfahren“ der Marken in diesem Fall bestand, kann hier nicht geklärt werden. Es dürfte sich dabei um jene „Markensammelapparate“ gehandelt haben, die oben in der Mitte einen Einwurf für die Marken hatten (man beachte die linke Hand eines Beschäftigten im Bild, die dies demonstriert). Eine elektronische Uhr bewirkte das Öffnen und Schließen unterschiedlich definierter Kammern im Inneren des Kastens zu festgelegten Zeiten. Eine minutengenaue Erfassung des Beginns beziehungsweise des Endes der Arbeitszeit war damit noch nicht gewährleistet. [1]
Welche Position der (männliche) Absender der Karte in der Fabrik innehatte, ist anhand dieses Dokuments schwer zu sagen. Lediglich seine Handschrift und Schreibweise sowie die Adressatin (aus einer Winzerfamilie in Baden bei Wien) [2] lassen vermuten, dass es sich hier nicht um einen einfachen Arbeiter handelte. Möglicherweise mit ein Grund, warum er seine Mitteilung mit „Unsere Fabrik“ überschreibt und sich mit den Schuckert-Werken und wohl auch mit dieser Art der Betriebskontrolle zu identifizieren scheint.
Sándor Békési, 11. Juli 2024
[1] Vgl. P. Martell, Ueber Arbeiterkontrolle, in: Die Arbeit. Politische Zeitschrift. Zentralorgan der österreichischen Arbeitgeber, 21. Juli 1918, S. 1–2.
[2] Adressbuch der Kurstadt Baden. Ausgabe 1933/34, Baden: J. Prokopp & Co., 1933.
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