

Bewegungen des Alltags
Diese Aufnahme Grete Kolliners von Mila Cirul und Hedy Pfundmayr entstand im Rahmen eines Tanzabends am 29. November 1928 im Wiener Konzerthaus. Die beiden Tänzerinnen präsentierten ein dichtes Programm dessen Finale jenes originelle Duett „Olympiade zu zweit“ war, von dem uns in Form dieser Postkarte, die wohl als Autogrammkarte oder Sammelbild Verwendung finden sollte, ein kleiner Eindruck erhalten blieb. Aus Presseberichten wissen wir, dass sie darin tänzerisch olympische Sportarten nachahmten, begleitet von Musik, die aus verschiedenen Nationalhymnen zusammengesetzt war. Welche Disziplin genau auf dem Foto dargestellt wurde, ist nicht überliefert, aber die amüsanten Posen mit hochgerissenen Beinen – ein Hürdenlauf vielleicht? – mögen uns auch heute noch ein Lächeln entlocken. Als „[l]ustig und heiter“ beschrieb auch die Zeitschrift Die Bühne die außergewöhnliche Darbietung, vergaß aber nicht am Schluss hinzuzufügen, dass es „doch irgendwie ernst gemeint“ war.
Tatsächlich hatte der Tanz auch einen durchaus ernsten Hintergrund, denn nur wenige Monate zuvor waren die neunten olympischen Sommerspiele in Amsterdam ausgetragen worden und zum ersten Mal waren Frauen zu Leichtathletik- und Gymnastik-Wettbewerben zugelassen. Auch der Hürdenlauf wurde als Disziplin für Frauen eingefordert, sollte aber erst vier Jahre später in Los Angeles stattfinden. Für Pfundmayr und Cirul war „Olympiade zu zweit“ nach eigenen Aussagen eine „Auseinandersetzung mit heutigen Problemen.“ Dabei meinten sie aber wohl nicht nur die Emanzipation der Frau, sondern auch die Neuerungen, mit denen sich der Tanz in den 1920er-Jahren konfrontiert sah. Beide waren eigentlich klassisch ausgebildete Balletttänzerinnen, Pfundmayr sogar eine der bekanntesten Solotänzerinnen des Ballettensembles der Wiener Staatsoper, die sich neben ihrer dortigen Arbeit aber auch gerne bei der bekannten deutschen Ausdruckstänzerin Mary Wigman weiterbildete. Das klassische Ballett wurde damals schon längst als altmodisch abgelehnt und man experimentierte gerne mit neuen Darstellungsformen im Tanz. In diesem Fall wollten Cirul und Pfundmayr „Bewegungen des Alltags für den Tanz fruchtbar machen“ und widmeten sich tagespolitischen Ereignissen.
Magdalena Vukovic
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