Anonym: Zwei Ochsenfuhrwerke der Firma Ad. Jg. Mautner und Sohn in der Friedrichstraße, Ecke Kärntner Straße (aus der Serie „Wiener Straßenleben“), um 1906/07, Glanzkollodium, ungelaufen, Sammlung Michael Ponstingl

Anonym: Zwei Ochsenfuhrwerke der Firma Ad. Jg. Mautner und Sohn in der Friedrichstraße, Ecke Kärntner Straße (aus der Serie „Wiener Straßenleben“), um 1906/07, Glanzkollodium, ungelaufen, Sammlung Michael Ponstingl

Das Wiener Straßenleben, verschaltet zur Serie

Vorliegende Postkarte zeigt zwei Ochsenfuhrwerke der Wiener Firma Ad. Jg. Mautner & Sohn, einer landesbefugten Spiritus- und Presshefefabrik, Bierbrauerei sowie Essig- und Likörfabrik. Unterwegs sind die zwei Fahrer auf der verkehrsreichen Friedrichstraße, rechter Hand mündet die Kärntner Straße ein. Als Titel firmiert – links unten eingedruckt – „Wiener Straßenleben“. Tut man sich nun etwas um, fragt in Museen und bei privaten Sammlern nach, entdeckt man, es existiert ein ganzes Bündel an Postkarten mit demselben Titel. Nun gerät die textliche Beigabe zum Vexierspiel. Haben wir es mit einem Titel zu tun, der sich insgesamt 47-mal wiederholt (denn so viele solcher Karten kenne ich). Oder handelt es sich hier um einen Serientitel – und keine der Karten besitzt einen individualisierenden Einzeltitel? Angesichts dessen, dass alle Postkarten über dasselbe Format und dieselbe fotografische Technik verfügen, alle um dieselbe Zeit (1906/07) entstanden sind und sich von der fotografischen Ästhetik und vom Inhalt her gleichen, ist es legitim, von einer Postkartenserie zu sprechen. Damit wird ein wie auch immer gearteter innerer Zusammenhang unter den Bildern postuliert, aber welcher?

Im Großen und Ganzen bestehen zwei Muster, Bilder miteinander zu verknüpfen (ohne dass damit gesagt sei, dass es keine Mischformen gäbe), um damit Aussagen zu tätigen. Erstens ist das die narrative Sequenz, die von einem Bild zum anderen fortschreitet, und zwar in einer definierten Reihenfolge. Zweitens gibt es die thematisch gebundene, nichtnarrative und nicht in einer obligatorischen Reihenfolge zu rezipierende Serie. Man könnte auch mit Begrifflichkeiten aus der Textlinguistik experimentieren und den Zusammenhalt der Bildergruppe mit ,Thema‘ (worüber gesprochen wird: das Straßenleben in Wien) und ,Rhema‘ (was über ein Thema mitgeteilt wird: also zum Beispiel die fahrenden Fuhrwerke) versuchen zu fassen. Beide Muster von Serialisierung finden sich viele unzählige Male bei Postkarten. Bei Letzterer liegt keine abgeschlossene Geschichte vor, was aus der Perspektive kommerzieller Postkartenverleger den unermesslichen Vorteil hat, dass sich die Serie problemlos ergänzen lässt. Durch die Integration eines Bilds in eine Serie kann diesem eine gesteigerte Aufmerksamkeit zukommen, die ansonsten, belässt man es als Einzelgänger, nicht gegeben wäre.

Michael Ponstingl



Permalink: https://postkarten.bonartes.org/index.php/herausgegriffen-detail/das-wiener-strassenleben-verschaltet-zur-serie.html

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