Strelisky Budapest, Kosáry Emma (Csárdáskirályné), Silbergelatine, 1916, Rotophot-Verlag, Budapest, ungelaufen

Strelisky Budapest, Kosáry Emma (Csárdáskirályné), Silbergelatine, 1916, Rotophot-Verlag, Budapest, ungelaufen

Die Kleider der Csárdásfürstin

Als der ungarische Komponist Emmerich Kálmán 1914 an einem neuen Stück zu arbeiten begann, konnte er noch nicht wissen, dass es unter anderem aus politischen Gründen bald großen Erfolg haben sollte. Er tüftelte an einer Operette mit einer heißblütigen, rumänischen Sängerin in der Hauptrolle, die einem hohen Adligen den Kopf verdreht. Der Ausbruch des Kriegs führte aber erst einmal zu einer Schaffenspause. Kálmán soll dazu gesagt haben, dass er keine Liebe für Musik aufbringen könne, wenn sich die Welt an den Fronten gegenseitig umbringt. Als der Krieg allmählich zum traurigen Alltag wurde, dürstete man wieder nach abendlicher Abwechslung. Im Sommer des Jahres 1915 nahm Kálmán die Arbeit also wieder auf, modifizierte aber den Inhalt. Aus Gründen der Zugehörigkeit wurde aus der Rumänin eine feurige Ungarin: Die Csárdásfürstin. Der Uraufführung in Wien war tosender Applaus beschert, die seichte Geschichte war ein Publikumsschlager. Schon im Jahr darauf kam die Operette nach Budapest mit Emma Kosáry in der Titelrolle.

Die Kostüme für diese Produktion stahlen dem Ensemble fast die Show, stammten sie doch von niemandem geringeren als der Wiener Werkstätte, dem Geist Eduard Wimmer-Wisgrills entsprungen. Die Modeabteilung der W.W. hatte mit Beginn des Kriegs einen Aufschwung erlebt. Bis 1914 war in allen modischen Belangen Paris das große Vorbild. Als Frankreich aber zur Feindesmacht wurde, kamen Modemacher aus deutschsprachigem Raum praktisch über Nacht zum Zuge. Auf der Operettenbühne konnte Wimmer, wie viele andere auch, Designs testen, die er für nächstes Jahr in der regulären Kollektion plante. Er entschied sich bei den Kostümen der Csárdásfürstin auch aus politischen Gründen für Empiretaille und Anklänge von Biedermeier. Die Medien berichteten eingehend über die eigenwilligen Roben: „Die schlanke, leichtfließende Linie des Empire ist wieder wach. Motive der Wiener Kongreßzeit vor fast 100 Jahren klingen auf. Das glänzende Leben der Kaiserstadt an der Donau nach den großen Kriegen erweckt in den festlichen heiteren, zarten edlen Linien dieser Kleider. Friedenszeit!“[1]

Das Kleid Emma Kosárys auf der Postkarte scheint aus anderen, weniger modischen oder politischen Gründen gewählt worden zu sein. Mit tiefem Dekolleté und bis auf kecke Zierschnüre nackten Schultern und Oberarmen, räkelt sie sich auf einem Fauteuil. Das Kleid kommt in den von Otto Lendecke gezeichneten W.W.-Entwürfen gar nicht vor. Das gefällige Lächeln oder starre Gesicht der Mannequins, wie man es sonst in den Modefotografien der Zeit oft findet, ist Kosárys sinnlich halbgeöffneten Mund gewichen. Sie mimte hier den beliebten Typus einer verführerischen Varieté-Künstlerin in einem Kleid, das man auf den Straßen Wiens, Budapests oder auch Paris᾿ sicher nicht zu Gesicht bekam. Ein solches Foto hätte damals kaum Eingang in handelsübliche Modegazetten gefunden, die ja in erster Linie Schnittmuster vertrieben oder als Inspiration für eigene Kreationen zu dienen. Auch in einem W.W.-Album, das zum Verkauf für die Kundschaft auflag, wäre ein solches Foto als unzweckmäßig empfunden worden. Die große Zeit der kreativen Modefotografie stand erst bevor. Die Postkarte markiert die Schwelle zu einer rasch wachsenden Zusammenarbeit zwischen Fotografie, Mode, Kunst und Schauspiel – ein Amalgam, das wie kein anderes bis heute die Repräsentationsästhetik der Mode prägt.

Magdalena Vukovic

 

[1] Dresdner Neueste Nachrichten, 4.2.1917, cf. Angela Völker: Wiener Mode + Modefotografie. Die Modeabteilung der Wiener Werkstätte 1911–1931, Ausst.-Kat. Österreichisches Museum für angewandte Kunst (Wien), München u.a.: Schneider-Henn, 1984. S. 98.



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