FotografIn unbekannt, Verlag Georg Gerlach, Berlin: Frau mit Pferd, um 1905, gelaufen 1917, Silbergelatine koloriert; Privatsammlung

FotografIn unbekannt, Verlag Georg Gerlach, Berlin: Frau mit Pferd, um 1905, gelaufen 1917, Silbergelatine koloriert; Privatsammlung

Die Reiterin

„Erinnerung sendet Jéža – Bitte schreiben Sie mitt [sic] ob es möglich ist am 27. d[es]. M[onats].“ In fein-säuberlicher Handschrift wurde diese kryptische Botschaft auf einer Postkarte niedergeschrieben, die am 17. Mai 1917 die kleine Stadt Nový Bydžov (heute in Tschechien) verließ, in Richtung Wiener Josefstadt. Der kurzen Nachricht selbst lassen sich nur einige wenige Informationen entnehmen. Das Wort ža bedeutet im Slowenischen etwa der Ritt oder das Reiten und ist wohl ein Kose- oder Deckname. Es bleibt unklar, ob AbsenderIn und Adressat sich jemals getroffen haben, aber was sonst könnte mit der „Erinnerung“ gemeint sein, die hier mitgeschickt wird? Das Zurückdenken an ein gemeinsam erlebtes Geschehen oder vielleicht doch eher das Gemahnen an eine zukünftige Aufgabe oder einen Termin?

Am 27. Mai jedenfalls sollte etwas stattfinden, das der Adressat – ein gewisser Dr. Rudolf Reuterer, seines Zeichens k. u. k. Oberleutnant der Reserve –, aufgefordert war, zu bestätigen. Inmitten des Ersten Weltkrieges könnte man denken, dass Reuterer eine verschlüsselte militärische Botschaft erhalten hat, aber die Bildseite der Karte legt eine andere Lesart nahe: Eine junge Frau in einem lilafarbenen, zarten Musselinkleid schmiegt sich an ein Pferd, im Hintergrund lässt sich vage das Blätterwerk eines Baums ausmachen – die Aufnahme ist offensichtlich im Studio entstanden. Sowohl die rot kolorierten Lippen und Wangen, als auch ihr ungezähmtes, wallendes Haar und die leichte Robe entbehren nicht einer lasziven Note. Für eine Frau galt es damals als unschicklich, auf der Straße ihr Haar offen zu tragen, aber gerade in erotischen Fotografien ist es ein oft gesehenes Motiv.

Die vorliegende Postkarte entstammt einem kleinen Konvolut aus dem Besitz Reuterers, in dem auch einige pornografische Fotografien verwahrt werden. „Jéžas“ Botschaft befindet sich in guter Gesellschaft, inmitten zahlreicher weiterer, ähnlich kodierter Postkarten, immer von verschiedenen Autorinnen verfasst. Sie alle richteten sich an Rudolf Reuterer, und erinnerten entweder an ein bereits stattgefundenes Rendezvous oder wollten eines für die baldige Zukunft anberaumen. Es war nicht ungewöhnlich, solche Nachrichten auf Bildpostkarten zu versenden, gerade wenn die Bildseite eine Möglichkeit bot, auch visuell auf das Treffen vorzubereiten und dabei vielleicht sogar noch half, die Absenderin oder den Absender ins Gedächtnis zu rufen. Während bei Paaren, die sich regelmäßig Liebesbriefe schrieben, die Postkarte eher zur Bestätigung einer fortlaufenden Kommunikation diente und auf in Bälde ankommende weitere und ausführlichere Briefe Bezug nahm, ging es hier offensichtlich weniger um die Kontaktsicherung auf lange Sicht.

Magdalena Vukovic



Permalink: https://postkarten.bonartes.org/index.php/herausgegriffen-detail/die-reiterin.html

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