Geldtag beim Oberlehrer
Für diese Aufnahme öffnete sich dem Fotografen – wahrscheinlich auf seine Anweisung hin, denn alle Blicke sind gebannt auf ihn gerichtet – ein Spalier, und eine bunt zusammengewürfelte Menschenmenge gab den Blick auf den Grund für die vielen Schaulustigen frei, die sich an jenem Tag auf einem Feld versammelt hatten: ein Doppeldecker-Flugzeug.
Die Fotografie dieser Postkarte, ein Originalabzug in Silbergelatine, stammt von Gustav Adolf Stosius. Den Beleg dafür liefert der schon sehr verblasste, kaum lesbare Stempel „Photog. & Verlag G. A. Stosius in Laa/Thaya N. Ö.“ auf der Adressseite. Der 1837 in Galizien geborene Fotograf war ursprünglich gelernter Ingenieur und ab 1860 für die k.k. priv. Staatseisenbahn-Gesellschaft in Laa an der Thaya tätig, wo er sich nach seiner Heirat auch niederließ. Schon in seiner Heimat hatte er sich mit Fotografie auseinandergesetzt und wurde wahrscheinlich deshalb von seinem Arbeitgeber mit der fotografischen Dokumentation der Eisenbahnlinien und Industriebetriebe unter anderem im Banat im heutigen Rumänien betraut. Im Jahr 1872 wurde er in die Photographische Gesellschaft aufgenommen und professionalisierte schließlich 1885 seinen Nebenerwerb mit einem eigenen Atelier in Laa an der Thaya, wo er sich als Stadtbaumeister und akribischer Dokumentarist der Stadt und der weiteren Umgebung einen Namen machte. Die Suche nach geeigneten Motiven für seine Fotografien und Postkarten mag ihn am 24. August 1911 auch auf jenes Feld geführt haben, wo der Pilot, Josef Sablatnig, anlässlich des „Rundfluges um Niederösterreich“ um 9:25 Uhr gerade die vorgeschriebene Zwischenlandung bewerkstelligt hatte, bevor er um 10:55 Uhr wieder abhob.
Beim abgebildeten Flugzeug handelt es sich um ein Fluggerät vom Typ Warchalowski Autoplan-Biplan, hergestellt ab dem Jahre 1909 von der Firma Werner & Pfleiderer in Wiener Neustadt und nach Konstrukteur Adolf Warchalowski benannt. Die stromlinienförmige Ausführung des Pilotenkorbes spricht für eine spätere Bauart der Serie, die zunächst für militärische Zwecke und dann für Flugwettbewerbe optimiert worden war. Warchalowski war selbst Pilot und konnte mit dem Flugzeug, eine Weiterentwicklung des Henri Farman Doppeldeckers mit ausgeklügeltem Fahrwerk und Flügeln in Form des Zanonia-Flugsamens zahlreiche Trophäen gewinnen. Schon 1910 hatte er den vom Unternehmer Gerngross gestifteten Preis für den ersten 15-Minuten-Flug und den ersten fünfminütigen Passagierflug in Österreich entgegennehmen dürfen und seine Erfolge fanden auch im Kaiserhaus Beachtung. Zu Franz Josefs Geburtstag flog er im August 1910 von Wiener Neustadt aus über die gesamte Innenstadt und drehte in 700 Meter eine Runde über den Stephansplatz, worüber international groß berichtet wurde und wofür er vom Kaiser persönlich beglückwünscht wurde.
Die Postkarte wurde am 1. September 1911 von Josef Langg in Prag nach Hanfthal an den Oberlehrer Franz Josef Kohlhauser gesendet, der wohl für zumindest für einen gewissen Teil des Einkommens des Absenders verantwortlich war, denn der Text enthält Anweisungen, wie am „Geldtag“ mit dem zustehenden Betrag zu verfahren wäre. Wofür Josef Langg bezahlt wurde, ist nicht bekannt. Es könnte aber durchaus möglich sein, dass der Verfasser von Kurzgeschichten – zumindest wurde eine davon, Die Ehrenrettung, in den Feuilletons des Neuen Wiener Journals beziehungsweise des Mährischen Tagblattes im Januar 1907 abgedruckt – im Dienst der Schule stand, an der Kohlhauser als Oberlehrer tätig war.
Martin Keckeis
Ich möchte mich herzlich bei Mag. Bruno Waigner und Leopold Toriser aus Laa an der Thaya, sowie Dr. Marcus Zelezny für die bereitgestellten Informationen bedanken.
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