„Gott gebe nur, daß aus dem ganzen Fliegen etwas wird“
Im Zuge des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 war Paris von den deutschen Truppen umzingelt. Um Nachrichten aus der Stadt über die deutschen Linien ins unbesetzte Frankreich senden zu können, setzte man 67 unlenkbare Ballone und Brieftauben ein. Diese transportierten zwischen dem 23. September 1870 und dem 28. Januar 1871 2,5 Millionen Briefe und Postkarten. Nicht alle Ballone erreichten ihr Ziel, drei fielen den Deutschen in die Hände, zwei wurden Opfer der Fluten. In Tours wurden die Nachrichten gesammelt und von dort an die Empfänger weitergeleitet. Es war der Beginn der Ballonpost.
Auf diese Aktivitäten rekurrierte die Österreichische Postverwaltung nicht, als sie am 27. April 1958 den 19. BallonPostflug veranstaltete und dazu eine Ersttagskarte herausgab, sondern an ein Ereignis vor 150 Jahren. Erinnert wurde an einen Schweizer Uhrmacher, der 1792 in Wien eingebürgert worden war. „In seiner neuen Heimat konstruierte Jacob Degen einen Schlagflügelapparat in Verbindung mit einem Gasballon. Er flog damit am 15. November 1808 vom Prater nach Nußdorf und am 6. September 1810, vor Kaiser Franz I., vom Lustschloß Laxenburg nach Schönbrunn und zum k. k. Schloß Vösendorf.“ 1912/13 sollte der Erfinder mit seinem Gefährt weitere Vorführungen in Paris inszenieren.
Zu einem früheren Start – wohl ein Probeflug – von 1808 brachte die Bayreuther Zeitung Nr. XIX vom 12. Mai 1808 Angaben zur Konstruktion: Das Gefährt „sei mit Flügeln aus zusammengenähtem Papier, welche eine Last von 240 Pfund bewegen, im Reithause vor einer Zuschauerschaft 54 Fuß hoch nach beliebigen Richtungen geflogen.“ Diese Notiz veranlasste den Schriftsteller Jean Paul in einem Artikel im Juni desselben Jahres zu allerlei ironischen Bemerkungen, die das Morgenblatt veröffentlichte: „Um die letzten zu überfliegen und ihnen von der Entdeckung, wie vom Spargel die ersten und besten Spitzen wegzubeißen, setz’ ich mich sogleich nieder, und äußere meine Gedanken über den Fund, so daß die andern Schreiber nichts mehr aufzutischen vermögen, als was ich schon abgedroschen habe.“
Er nutzte des Weiteren die Gelegenheit, auf die notwendigen staatlichen Regelungen hinzuweisen: „Das Erste und Wichtigste, was noch in diesem Jahre geschieht, ist allerdings, daß eine Gesetz-Kommission (in jedem Staate) nieder- und von ihr eine vorläufige Flug-Ordnung ausgesetzt wird. Die nöthigsten Luft-Aufseher, Luft-Räthe und Luft-Schreiber werden verpflichtet.“ Und selbstverständlich ist der Zugang zur Fliegerei nicht jedem erlaubt, „der nicht von Adel ist, oder sonst von einer gewissen Standes-Erhöhung. Die untern Stände müssen unten bleiben; der Erdboden ist der goldne Boden ihres Handwerkes, indeß die höhern mehr von Luft und Luftschlössern leben [...]“ Und weiter werden in derselben Tonart Regeln und Prophezeiungen angeführt und aktuelle Erscheinungen des Alltags beobachtet und dazu ins Verhältnis gesetzt.
Das Prozedere der Ersttagskarte ist auf der Anschriftenseite vorgegeben. „Bis 24. April 1958 in Österreich frankiert per Post aufgeben. Die Karte erhält dann den BALLONPOST-SONDERSTEMPEL-AUFDRUCK vom 27. April und wird mittels Österr. Freiballon von Wien nach voraussichtlichem Landungsort geflogen. Dadurch erhält sie einen philatelistischen Sammlerwert. Wenn die Karte im Ausland frankiert und dort an EINEN EMPFÄNGER IN ÖSTERREICH per Post aufgegeben wird und VOR dem 25. April in Österreich eintrifft, wird sie ebenfalls mit Ballonpost befördert und erhält zusätzlich den Ballonpost-Sonderstempel-Aufdruck vom ‘Tag der Luftfahrt 1958‘.“ Zugleich wird dem Benutzer der Karte versichert, dass er mit dem Kauf und der Teilnahme ein gutes Werk tätigt: „ÖSTERREICHISCHE PROJUVENTUTE (‘FÜR DIE JUGEND’) 19. Ballonpostflug zugunsten der Hilfe für notleidende österreichische Kinder im Ausland. Diese Karte gilt als Ausweis für geleisteten Gönnermitglieds-Halbjahresbeitrag S 4.–.“
Timm Starl
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