„Herzliche Grüße von der Abgebildeten“
Vier Personen sitzen im Freien um einen Tisch. Die beiden älteren Frauen in der Mitte haben ihre Hüte vor sich liegen und sind in die Lektüre vertieft. Der Mann hat die Beine übereinandergeschlagen und blickt in die Kamera. „Der Hof-Fotograf M.K. empfiehlt sich hiemit“, steht nach dem Datum zu lesen. Wer war gemeint? Gehörte etwa eine weitere Person zur Gruppe und stand hinter der Kamera? Oder wurde die Szene mit einem Selbstauslöser festgehalten? Welche der Frauen, die mit Marianne unterzeichnete, war Absenderin der Karte? Und was bedeutet die kreuzförmige Markierung über einer der Frauen, die vermutlich erst später mit Bleistift angebracht worden ist?
Die Aufnahme hat mit Sicherheit einer jener Zeitgenossen angefertigt, die schon damals als Knipser bezeichnet worden sind. Diese Amateure distanzierten sich von den stereotypen Inszenierungen, wie sie in den Ateliers der Berufsfotografen praktiziert wurden. Immer mehr Zeitgenossen griffen ab den 1880er Jahren zur Kamera, um sich ein eigenes Bild von sich und der Welt zu machen. Dabei spielten gestalterische Ambitionen keine große Rolle, wenn nur alle Personen auf der Aufnahme deutlich zu erkennen waren. Der Abzug war ja nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sondern sollte als Grußkarte an Verwandte und Bekannte dienen und vielleicht auch den Weg ins heimische Familienalbum finden, wo er später an einen Tag im Sommer 1901 erinnern würde.
Für den Außenstehenden sind die Motive wie die Mitteilungen auf solchen Postkarten selten verständlich. Doch die besondere Diktion in Bild und Text steht für die Sprache des Privaten, das sich abschirmt gegen fremde Leser und Betrachter. Zu den Mitteln, um deren Blicke abzuweisen, gehört eine lakonische Bildsprache, die ohne besondere ästhetische Ansprüche eine Situation oder ein Geschehen wiedergibt. Deshalb gleichen sich die Produkte der Knipser und erscheinen vielfach als banale bildliche Äußerungen. Zugleich werden in den schriftlichen Mitteilungen Abkürzungen und Stereotypen verwendet, die ebenfalls keine Rückschlüsse auf die Autoren zulassen. In einer Periode, in der man immer mehr Zeit außer Haus zubringen musste, um seinem Erwerb nachzugehen, und das Telefon als abhörbare Einrichtung zunehmend Eingang in die privaten Haushalte fand, eroberte man sich mit dem Fotografieren ein Terrain, in dem man autonom agieren konnte.
Timm Starl
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