Puszta-Ensemble – oder: Die museale Landschaft
Herzliche Grüße sendete ein Urlauberpaar im Jahr 1958 aus einer „eigenartigen“ und „einsamen Gegend“ nach Tirol. Im Gasthof schien einzig der Fernseher die Nachkriegsmoderne zu vertreten. Für ihre Grußbotschaft verwendeten die (vermuteten) BesucherInnen aus Westösterreich eine Fotopostkarte mit einem Motiv aus dem damaligen „Seemuseum“ in Neusiedl am See. Das Bild zeigt „Burgenlands ältesten Ziehbrunnen“ in der Freiluftanlage des Museums und in der Nähe einer Schilfhütte. Aus dem (scheinbaren) Nebeneinander beider Objekte resultierte eine damals neue motivische Paarung, die für Jahrzehnte Bild und Wahrnehmung der Region prägen sollte. Erstmals tauchte das Motiv in einer regionalen Zeitschrift 1956 in einem Bericht über das neu eröffnete Museum auf. Ein Jahr später war es bereits im Heimatfilm Das heilige Erbe (Österreich 1956/57, Regie: Alfred Solm) zu sehen – allerdings ‚draußen‘, im freien Gelände des Seewinkels. In der Folge fand die motivische Nachbarschaft „Ziehbrunnen und Schilfhütte“ ihre größte Verbreitung jedoch auf illustrierten Postkarten.
Der Wiener Neustädter Fotograf Paul Egelseer, von dem auch die hier gezeigte Ansichtskarte stammt, produzierte in der Nachkriegszeit zahlreiche Sujets vom Neusiedler See und seiner Umgebung. In seinen im Burgenländischen Landesarchiv erhaltenen Vorlagealben lässt sich der radikale Wandel der österreichischen „Puszta“ wie auch ihrer fotografischen Darstellung im Laufe der 1950er-Jahre präzise verfolgen: Im Zuge dieser ikonografischen Veränderung verschwanden zunächst die Rinderherden aus dem Bild, der Ziehbrunnen rückte dafür in den Vordergrund, bald auch ohne Tränke, und schließlich tauchte neben dem Brunnen – als völlig neuer Bildinhalt – die Schilfhütte auf. Die landwirtschaftliche Funktion der Objekte wurde dabei mehr und mehr von einer ästhetischen und memorialen abgelöst.
Beide Akteursgruppen, Museumsmacher und Bildproduzenten, reagierten also auf die Umwandlung der Weidelandschaft zur Wein- und Ackerbauregion: Die einen holten den verlassenen Ziehbrunnen ins Museum, die anderen gaben ihm mehr Platz im Bild und verknüpften ihn mit dem neuen, geradezu antagonistischen Motiv der Schilfhütte. Denn ironischerweise diente letztere ursprünglich als Unterstand für Weinhüter (die die Trauben vor Dieben und Vögel zu schützen hatten) – passte jedoch offenbar zur Imagination von Hirtenleben und alter Puszta.
Wir haben es hier somit mehrfach mit einem Konstrukt zu tun. Nicht nur, weil man Ziehbrunnen und Schilfhütten auch im Gelände erhalten und zum Teil bald künstlich nachgebaut hat. Auch die räumliche Nähe beider Objekte war vielfach arrangiert oder erst durch die Fotografen perspektivisch hergestellt worden (in unserem Bild sogar noch mit zwei Bäumen dazwischen). Auf diese Weise ergab sich auch hier eine Interaktion zwischen symbolischer und physischer Landschaftsproduktion. Die Bilder verweisen auf konkrete Orte, die sich wiederum in ihrer Ausgestaltung an Bildern orientierten. Mit der Konstruktion des Ensembles „Ziehbrunnen und Schilfhütte“ entstand letztlich die erfolgreichste ikonische Manifestation der „österreichischen Puszta“ – nicht zufällig zum Zeitpunkt ihres physischen Verschwindens und ihrer beginnenden Musealisierung.
Sándor Békési, 3. März 2020
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