[Verlag] B. und C., W[ien]. I.: „Wien II. Prater Haupt-Allee“, Autochromdruck, dat./gel. 1915 von Wien nach Verviers (Belgien); Wien Museum; Bsp. für tcv-Hinweis (Abb. 3); Bsp. für Globus-Sticker (Abb. 4), Abb. 3, 4 aus dem Handel

[Verlag] B. und C., W[ien]. I.: „Wien II. Prater Haupt-Allee“, Autochromdruck, dat./gel. 1915 von Wien nach Verviers (Belgien); Wien Museum; Bsp. für tcv-Hinweis (Abb. 3); Bsp. für Globus-Sticker (Abb. 4), Abb. 3, 4 aus dem Handel

[Verlag] B. und C., W[ien]. I.: „Wien II. Prater Haupt-Allee“, Autochromdruck, dat./gel. 1915 von Wien nach Verviers (Belgien); Wien Museum; Bsp. für tcv-Hinweis (Abb. 3); Bsp. für Globus-Sticker (Abb. 4), Abb. 3, 4 aus dem Handel

[Verlag] B. und C., W[ien]. I.: „Wien II. Prater Haupt-Allee“, Autochromdruck, dat./gel. 1915 von Wien nach Verviers (Belgien); Wien Museum; Bsp. für tcv-Hinweis (Abb. 3); Bsp. für Globus-Sticker (Abb. 4), Abb. 3, 4 aus dem Handel

tcv

„tcv“? Vielleicht kommt einem zuerst ein französischer Zug von großer Geschwindigkeit in den Sinn – eine falsche Fährte, ein falscher Freund, doch die Länderassoziation stimmt. Es handelt sich um eine Abbreviatur aus der Welt der Postkarten und bezeichnet eine Art des Frankierens: timbre [sur] côté vue. Das Aufkleben der „Briefmarke [auf der] Bildseite“ begann sich in der Jugendblüte der Bildpostkarte, um 1900, besonders in Frankreich zu einer kleinen Mode zu entwickeln. Um einer im guten, freilich falschen Glauben eingeforderten Nachgebühr (vulgo Strafporto) zu entgehen, bedeutete man dem Postbeamten durch (textliche) Hinweise im für die Marke vorgesehenen Feld, dass der Obolus für den Kartentransport ordnungsgemäß – zwar an ungewohnter Stelle, aber dennoch – entrichtet wurde. Es bürgerten sich Kürzel ein wie eben „tcv“ oder „(au) verso“, „Frankatur umseitig“, „Stamps over“ oder auch ein nach rechts oben orientierter Pfeil (siehe Abb. 3). In unserem Fall kam vermutlich dem „B.“ (für „Briefmarke“) diese Aufgabe zu. Diese Kennzeichnungen erfolgten handschriftlich beziehungsweise behalfen sich Kartenvielschreiber*innen gern mit einem Stempel.

Das bildseitige Freimachen von Bildpostkarten reizte sowohl Sammler*innen von Briefmarken wie auch von Postkarten und darüber hinaus Stempelkundler*innen, es besaß den Vorteil, Bild und Marke auf einen Blick fassen zu können, ein unschlagbares Atout, sobald die Karte einmal im Sammelalbum steckte. Angeblich war dieses Gebaren bei Briefmarkenfreund*innen beliebter, denn die Philokartisten bevorzugten doch oft genug „unbefleckte“, „unversehrte“ Bildseiten. Treffen bei tcv-Karten – unter Händlern wie Sammlern dient der Begriff heute noch zur Beschreibung – Briefmarke(nbild) und Kartenmotiv zufällig und unmotiviert aufeinander, entwickelte sich daraus auch eine weitere Sonderform des Sammelns im Schnittpunkt von Philatelie und Kartophilie: die Maximaphilie. Hierbei strebt man eine möglichst hohe Übereinstimmung des Postkartenbildmotivs, der bildseitig angebrachten Briefmarke und eines thematisch passenden Poststempels an: so entsteht eine sogenannte Maximumkarte.

Nun zur hier konkret in Rede stehenden tcv-Karte. Mit einem blutleer-förmlichen „Besten Dank“ quittiert in einer eigenwilligen Mischung aus Kurrent- und Lateinschrift ein gewisser Josef Skala einem „Geehrte[n] Herr[n]!“ den Erhalt einer „schöne[n] Karte“ und setzt unter seinen Namen die rätselhafte Buchstaben-Ziffern-Kombination „Gl. 5275/18“ und dazu eine Kontaktadresse, allerdings nicht seine private, sondern ein Postamt: „postlag[ernd]. Wien XVI. [Wien-Ottakring], Postamt 102“. Klar ist, die beiden Herrschaften kannten einander nicht persönlich. Offenkundig liegt hier ein Zeugnis eines Postkartentauschaktes vor, zum Zeitpunkt der ersten Hochzeit der Bildpostkarte eine äußerst populäre Praxis, bei der bildseitige Frankaturen hoch im Kurs standen. Systematisch und global organisierten diese Tauschgeschäfte eigens dafür gegründete Vereine, was auch bei vorliegender Karte der Fall gewesen ist: die Abkürzung „Gl.“ verweist auf die in Berlin residierende „Internationale Vereinigung für Ansichtskartensammler ‚Globus‘“, die Zahl auf die Mitgliedernummer.

Betrachtet man getauschte Karten, erscheint einem unsere Postkarte gar nicht mehr so einsilbig, im Gegenteil, als geradezu gesprächig und persönlich. Denn der Tauschverkehr konnte auch ganz anders vonstattengehen. Um den kommunikativen Aufwand zu rationalisieren, bot der Verein seinen Mitgliedern Aufklebesticker an, auf die bloß noch die Mitgliedernummer eingetragen werden musste (Abb. 4). Die zugehörigen Adressen ließen sich der Vereinszeitung Der Kurier entnehmen, ebenfalls verzeichnet waren dort allfällig präferierte Bildmotive. Um diese sprachökonomisch zu ordnen, schuf man einen vereinsinternen, exklusiv aus nahezu 60 Frauennamen bestehenden Code, der die Bildwünsche artikulierte und die Tauschbeziehungen regulierte. (Da im Globus viele überdies Briefmarken sammelten, kodifizierte man auch diese Wünsche.) Beispiele dafür sind: „Eva“ (Ich sammle nur bunte Ansichten, schwarz gedruckte Karten beantworte ich nicht), „Franziska“ (Ich bitte nur Ansichten zu senden, die in der Höhe abgebildet sind), „Irmengard“ (Senden Sie mir bitte Ansichten von Denkmälern), „Amalia“ (Ich bitte um regelmäßigen Tausch mit Ihnen von einer Karte pro 14 Tagen), „Augusta“ (Da ich bereits eine große Korrespondenz habe, bedaure ich lebhaft, nicht mit Ihnen in weiterer Verbindung treten zu können). Den eigenen Tauschwunsch oder die konkrete Mitteilung an den Tauschpartner schrieb oder stempelte man auf die versandte Karte. Solche Botschaften fehlen auf unserer Karte, was den Schluss nahelegt, dass hier eine bereits länger währende Tauschverbindung existiert.

Zusätzlich gewinnt unsere Postkarte an Attraktivität, kalkuliert man das Zeitgeschehen: Sie lief von Wien-Ottakring nach Verviers, einer Kleinstadt in Belgien. Der Schreiber verortet sie in der Adressanschrift sprachnationalistisch in „Deutsch-Belgien“ und hebt dadurch hervor, dass dort – gleichwohl der Empfänger einen französischen Namen trägt – eine deutschsprachige Minderheit lebt. Zusätzliche Brisanz bot der Zeitpunkt: 1915. Im August des Vorjahrs hatte Österreich-Ungarn dem Königreich Belgien den Krieg erklärt. Die Karte ging also ins Feindesland und unterlag folglich einer staatlichen Zivilpostzensur. Auf dem Weg zu ihrer belgischen Destination passierte sie einen deutschen Prüfposten, die sogenannte „Auslandstelle Aachen“, der violette Stempel zeugt davon. Der deutsche Zensor erkannte auf „Freigegeben“. Ob er im Angesicht der so nachdrücklich heraus- und zur Schau gestellten Frankatur stutzte und in der Folge schmunzelte – ging die Karte ja auch für ihn an einen Kriegsgegner? Zeigt diese doch, und zwar gleich in doppelter Ausführung, das Antlitz des greisen Monarchen Kaiser Franz Joseph und damit des Oberkommandierenden der – aus Empfängerperspektive – feindlichen Streitkräfte. Nicht die sehr gebräuchliche, gerade erst, 1914, ausgegebene 5-Heller-Freimarke per se bot eine Schmähung, denn alle Freimarken in der Habsburgermonarchie (wie wahrscheinlich weltweit üblich) transportierten Herrschaftssymbole wie Kaiserporträts, deren Domizile und Wappen. Allerdings konnte man im gezielt gewählten Ort des Anbringens, der Schauseite der Postkarte, in diesem ostentativen In-die-Auslage-Stellen des regierenden Monarchen einen schmalen provokativen Gehalt, eine symbolische Spitze hinsichtlich territorialer Machtansprüche erblicken. Das mag durchaus nicht in der Absicht des Absenders gelegen haben, sondern war wahrscheinlich bloß dem habituellen Tauschen geschuldet. So wie es aussieht, standen die beiden Herren Josef Skala und Louis Salzbourg mit ihrer Sammelleidenschaft quer zu den dominierenden politischen Zeitläuften.

Michael Ponstingl, 23. Juli 2020

 

Ich danke Wolfgang Schlömp für seine aufschlussreichen Hinweise und verweise auf seine auf tcv-Karten spezialisierte Website (https://ansichtskarten.schloemp.eu). Weitere Informationen zur Tauschvereinigung Globus siehe The Postcard Album. Magazine for Old Postcard Printer and Publisher Research, Heft 9, 10 und 15, alle o. J., http://www.tpa-project.info.



Permalink: https://postkarten.bonartes.org/index.php/herausgegriffen-detail/tcv.html

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