Verwischte Fronten: Der kleine Josi als Kosake
Vermutlich im Jahr 1915 oder 1916, an einem Tag im September schickte der kleine Franz Joseph eine Postkarte an seinen Onkel Karl, wohlweislich in einem Briefkuvert versteckt. Die Bildseite zeigt den Bub zweimal, in kurzem Abstand hintereinander fotografiert mit einem kleinen Spielzeugdegen, Munitionstäschchen, einer zusammengerollten Plache um die Brust und einem Flobert-Gewehr. Rückseitig hatte „Josi“ in sorgfältiger Schülerschrift vermerkt, dass er hier als „Kosack“ zu sehen sei, unschwer zu erkennen an der Lammfellpapacha auf seinem Kopf, die ihm offensichtlich viel zu groß, fast über die Ohren rutschte. Wie der Postkarte zu entnehmen ist, hatte ihm sein Bruder Christian die „Russenkappe“ geschickt. Er hatte mit seinem Geschenk ein gutes Gespür bewiesen, denn für die Kinder der Mittelmächte aber auch der Entente war das Kriegsspiel ein beliebter Zeitvertreib. Soldatenuniformen und Waffen im Miniaturformat waren groß in Mode. Auch die Postkarte ist typisch für die Zeit: eine Amateurfotografen-Aufnahme, wie die exzentrische Positionierung des Modells und die verrutschten Vignetten der Aufnahme implizieren. Um die Jahrhundertwende kamen jene fotografisch illustrierten Postkarten für private Knipser in Mode und hielten sich bis in die 1920er Jahre.
Franz Joseph selbst war gebürtiger Elsässer, 1905 in dem kleinen Örtchen Stotzheim geboren. Er entstammte dem alten unterelsässischen Adelsgeschlecht Andlau-Homburg. Sein Vater Hubert war seit 1902 dort Bürgermeister, zu einer Zeit als die die Lage in der Region heikel gewesen sein muss. Nach der Annexion Elsaß-Lothringens 1872, wurde schnell klar, dass das Gros der heimischen Bevölkerung trotz deutscher Muttersprache unzufrieden war. Zu welcher Seite sich die Elsässer bekannten, war immer wieder Gegenstand hitziger Diskussionen. Deutschland fürchtete um die Loyalität der „Wackes“ [pejorativer Terminus für Elsässer], die sich wiederum schlecht behandelt fühlten. Den Status der unliebsamen Besatzer wurden die Deutschen nicht los.
Der adressierte „liebe Onkel Karl“ war auch gebürtiger Stotzheimer, lebte aber in Wien und kämpfte sozusagen auf gleicher Seite. Er war Provinzial der Österreichischen Jesuitenprovinz, bekannt als Pater Andlau, umstrittener Berater Kaiser Karls. Er setzte während des Krieges mit diplomatischem Geschick die Interessen der Habsburger durch. Was für den Onkel bitterer Ernst war, war für den Neffen ein Spaß. Dass sich Franz Joseph dabei ausgerechnet als Feind verkleidet hatte, gibt Rätsel auf.
Obwohl das Elsass nach 1918 wieder französisch geworden war, behielt Hubert Graf von Andlau-Homburg weiterhin seinen Posten als Bürgermeister. Auch Franz Joseph schien der Grande Nation zugeneigt gewesen zu sein und begab sich nach dem Krieg nach Marokko. Wen es damals dorthin verschlug, der handelte aller Wahrscheinlichkeit nach in militärischem Auftrag. Leider war ihm kein langes Leben beschieden und er starb dort mit nur 24 Jahren.
Magdalena Vukovic
Vielen Dank an R. Gamotha für die Beratung in historischen Militärfragen.
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