H.E.D., Verlag Carl Lintl, F. Kutschera’s Nachf., Steyr: „Gruss aus Steyr. Hauptplatz“, farbiger Lichtdruck, gelaufen von Steyr nach Rodaun, Poststempel 3.9.1901, Privatsammlung

H.E.D., Verlag Carl Lintl, F. Kutschera’s Nachf., Steyr: „Gruss aus Steyr. Hauptplatz“, farbiger Lichtdruck, gelaufen von Steyr nach Rodaun, Poststempel 3.9.1901, Privatsammlung

Zwerge in der Stadt

Weshalb dienen Zwerge im Wald als illustrative Beigabe zur Aufnahme einer städtischen Straßenfront? Was verbindet ein bekanntes Gebäude in Steyr mit solchen Figuren, von denen die eine durch ein Perspektiv Hirsche beobachtet, während die andere die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, weil sich eine Krähe über den Schuh ihres Gefährten hermacht? Verweist das knallige Rot, mit dem die Ansicht umfasst ist, auf eine Besonderheit der Stadt oder der Häuserzeile auf dem Hauptplatz?

Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Im Zentrum steht das sogenannte „Bummerlhaus“, ein spätgotisches Bürgerhaus, das wohl aus den Gründerjahren der Stadt im 13. Jahrhundert erhalten geblieben und zum Steyrer Wahrzeichen avanciert ist. Die Bildunterschrift nennt lediglich den „Hauptplatz“ (heute Stadtplatz), nicht aber welche Bewandtnis es mit dem spitzgiebeligen Bauwerk hat. Nur ein Einheimischer oder ein Durchreisender, der um die historischen Gegebenheiten weiß, wird die Karte im Wissen um die historische oder architektonische Bedeutung des Hauses erworben haben. Dass sich dieses in Steyr befindet, ist nicht aus der im Bild gesetzten Kennzeichnung zu erfahren, sondern wurde als Ergänzung – wie auch die Verlagsdaten – in Graudruck der in Rot gehaltenen Vignette beigegeben. Womit deutlich wird, dass dasselbe Ambiente mit den Zwergen auch für andere fotografische Wiedergaben Verwendung finden konnte.

Fotografien auf Postkarten in eine Vignette zu setzen, war eine Mode, die um die Jahrhundertwende aufkam. Die häufigere Form waren schwarze Masken mit runden, ovalen oder andersförmigen Öffnungen, die auf das Negativ gelegt wurden, worauf zugleich ein Ausschnitt des Bildes wiedergegeben und die umgebende Fläche in der Farbe des Postkartenkartons beibehalten wurde. Dort konnten die Aufdrucke des Verlages – wie Firmendaten und Bildlegende – angebracht werden, und zugleich wurde Platz freigelassen, auf den die Absender ihre Mitteilungen schreiben konnten. Denn bis 1904 war es nicht erlaubt, auf der Adress-Seite andere Angaben als die Anschrift des Empfängers zu vermerken.

Um mehr Aufmerksamkeit zu erlangen, lieferten Firmen grafisch ausgestattete Vignetten, die gleichfalls Raum für das fotografische Bild, für Druckvermerke durch den Verlag und für Beschriftungen durch den Absender freihielten. Diese oft aufwendig ausgeführten Entwürfe waren in der Geschichte der fotografischen Bildpräsentationen nicht neu, kannten doch Untersatzkartons für großformatige Abzüge lithografische Ausstattungen in mehrfarbigem Druck. Auch bei Postkarten fungierten sie als eine Art Rahmung, die das Bild herausstellen sollte. Wie im gegebenen Fall kam es nicht darauf an, ob die Motive von Bild und Vignette harmonierten, sondern es wurde ein Arrangement gesucht, wodurch sich dieserart Postkarten von den üblichen Darstellungen unterschieden und damit potentiellen Käufern ins Auge stachen.

Timm Starl



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