„Der letzte Rest von der Simmeringerhaide / 1936 / Swatosch / S. H. F.“, gelaufen 1941, Silbergelatinepapier (Slg. Wien Museum)

„Der letzte Rest von der Simmeringerhaide / 1936 / Swatosch / S. H. F.“, gelaufen 1941, Silbergelatinepapier (Slg. Wien Museum)

Am Rande der Stadt und der Ansichtskarte?

Das Bild zeigt kein gängiges touristisches Postkartenmotiv von Wien. Wir sehen eine periphere, fast pannonisch anmutende Szene mit Gänsen und ebener Gegend, nur die Gasbehälter und Schornsteine im Hintergrund weisen auf die Nähe zur Stadt hin. Die Überschrift verortet die Aufnahme in der Simmeringer Haide im 11. Bezirk, im Süden Wiens. Adressiert ist die 1941 verschickte Karte an den Direktor der damaligen Städtischen Sammlungen, zu denen auch der Vorgänger des Wien Museums gehörte. An sich war es nicht ungewöhnlich, dass Museumsmitarbeiter solche Postsendungen erhielten, zumal vom Hersteller selbst, und diese dann in die Sammlung aufnahmen. (So auch die erste inventarisierte Ansichtskarte des Museums aus dem Jahr 1897.)

Der Absender der Karte war in unserem Fall Leopold Swatosch, der sich hier vor dem Hintergrund der seit den 1920er Jahren erstarkenden Heimatkunde selbstbewusst als Simmeringer Heimatforscher bezeichnet („S. H. F.“). Tatsächlich verfasste Swatosch, im Hauptberuf Kaufmann, unter anderem eine Topografie von Simmering und Kaiserebersdorf. Sein Nachlass befindet sich heute im Wiener Stadt- und Landesarchiv. Wer die Fotografie und die Ansichtskarte angefertigt hat, geht aus der Karte selbst nicht hervor. Die handschriftlich angebrachte Bildunterschrift einschließlich Signatur und Datierung von 1936 stammt wohl von Swatosch selbst. Der Originalabzug wurde als „Echte Photographie“ ohne sonstige Herstellerangabe gemacht, was ebenfalls auf eine Amateuraufnahme schließen lässt. Swatosch wollte mit dem Titel „Der letzte Rest von der Simmeringerhaide“ offenbar auf eine traditionelle Agrarlandschaft aufmerksam machen, die durch Industrialisierung und Urbanisierung endgültig verdrängt schien, und deren fotografisches Zeugnis nun ins Museum gehöre. Alt-Wien – einmal anders.

An sich also eine nicht uninteressante Ansichtskarte. Doch hier soll es auch um etwas anderes gehen. An diesem Beispiel lassen sich nämlich die Grenzen und Übergänge zwischen Privatfotografie und illustrierter Postkarte ein wenig ausloten: Was macht eine übliche, gewerblich oder gar industriell hergestellte Ansichtskarte eigentlich aus? Was unterscheidet sie von einer privaten Fotografie, die im Postkartenformat (also auf handelsüblichem Fotopapier mit Adressfeld als Vordruck) erstellt wurde? Fragen, die vielleicht formalistisch klingen, aber einen häufigen Fall und gewissermaßen eine Grauzone in der Geschichte der Fotografie und der Postkarte berühren.

Illustrierte Postkarten sind in der Regel für den Verkauf hergestellte, privatwirtschaftliche Produkte, die in mehrfacher Ausfertigung entstehen: Die Auflage kann je nach Reproduktionsverfahren zwischen wenigen hundert und mehreren tausend Exemplaren liegen. Charakteristisch für die überwiegende Zahl der Ansichtskarten ist in formaler Hinsicht – neben der postalisch festgelegten Kartengröße oder der Struktur der Adressseite usw. – das Vorhandensein einer Betitelung. Diese benennt und verortet den dargestellten Bildinhalt allgemeinverständlich und lädt ihn unter Umständen auch symbolisch auf. Sie ist entweder auf der Bild- oder auf der Adressseite aufgedruckt oder mitbelichtet und kann bei topografischen Postkarten aus der Standardformel „Gruß aus …“ oder auch aus einer längeren Bezeichnung bestehen. Ohne diese spezifische Beschriftung wäre die Karte – zumindest beim häufigsten Postkartentypus mit Stadt- und Landschaftsansichten – nur ein Fotoabzug im Postkartenformat (und eventuell eine kommentierte Fotografie im privaten Familienalbum). Ob tatsächlich ein späteres Versenden beabsichtigt war oder eher Zufälle oder praktische Gründe für die Verwendung dieses Fotopapiers sprachen, lässt sich vermutlich nicht immer eindeutig klären. Was die Bildinhalte und Darstellungsweisen betrifft, ist die Abgrenzung zwischen Ansichtskarte und Privatfotografie wiederum schwieriger beziehungsweise fließend. Postkarten transportieren überwiegend populäre Bildmotive, die auf ein breiteres Publikumsinteresse rechnen können. Doch das Spektrum dessen, was als bildwürdig, „schön“ und damit vermarktbar galt, war in diesem Medium zeitweise recht groß. Andererseits übernehmen auch Knipser:innen häufig touristische Motive und lichten Sehenswürdigkeiten in Postkartenmanier ab.

Die vorliegende Karte erfüllt die oben genannten Kriterien für gängige illustrierte Postkarten nur teilweise. Sie entstand vermutlich in geringer Zahl, wenn nicht sogar als Unikat. Die Überschrift wurde nicht mitproduziert, sondern nachträglich aufgebracht. Dafür durchlief die Karte den Postweg und war somit Teil einer Korrespondenz. So wurde aus einer (privaten) Fotografie letztlich eine (private) Ansichtskarte – zunächst in formaler und erst recht in funktionaler Hinsicht. Auf den ersten Blick mag der Vergleich vielleicht weit hergeholt erscheinen: Aber Swatoschs lokalhistorisch-topografische „Ansichtskartenproduktion“ hat in Summe weniger mit touristischen Souvenirs als etwa mit Peter Altenbergs berühmten Porträtpostkarten gemein (siehe das Beispiel: https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/164289-fotopostkarte-peter-altenberg-im-cafe-landtmann/).

Sándor Békési, 12. April 2024



Permalink: https://postkarten.bonartes.org/index.php/index.php/herausgegriffen-detail/Am-Rande-der-Stadt-und-der-Ansichtskarte.html

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