Zentralbild, u.a.: „Erster Spatenstich“, Autotypie, gelaufen am 27. März 1937 von Berlin-Charlottenburg nach Wilhelmshorst, Sammlung Maiken Umbach

Zentralbild, u.a.: „Erster Spatenstich“, Autotypie, gelaufen am 27. März 1937 von Berlin-Charlottenburg nach Wilhelmshorst, Sammlung Maiken Umbach

Früh übt sich

Anlässlich der Geburt Oskar Kreutzmanns am 29. Mai 1935 beginnt wahrscheinlich dessen Mutter ein Album für ihn anzulegen. Die ersten Seiten füllen zahllose an die Berliner Familie Kreutzmann adressierte Glückwunschkarten und -briefe, die den frisch gebackenen Eltern gratulieren, meist mit Blumenmotiven oder Bildern von Babys und Kleinkindern geschmückt. Auch ein ausgerissenes Kalenderblatt mit Oskars Geburtsdatum sowie eine Geschenkkarte der Sparkasse sind feinsäuberlich eingeklebt. Es scheint, als ob Antonia Kreutzmann ihrem Sohn in dessen erstem Lebensjahr einen kleinen Gedenkschrein für die Zukunft bastelt. Der Sommer 1936 aber, als die Olympischen Spiele in Berlin stattfinden, die auf so viele nachhaltigen Eindruck ausüben, bringen für die Mutter offenbar eine Neuordnung der Prioritäten. Gleich zwei Seiten sind dem sportlichen Großevent gewidmet und das Album fungiert von nun an deutlich als Schnittstelle zwischen öffentlichem und privatem Leben. Zeitungsausschnitte, Kriegs- und Führermemorabilien, teilen sich nun mit Glückwunschkarten, Kinderzeichnungen und vereinzelt auch Familienfotos den Raum. Was zunächst als zusammenhangloses Nebeneinander erscheint, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als sorgfältige Einbettung des Lebens Oskar Kreutzmanns in den Kontext völkisch-heldischer NS-Ideologeme, ebenso wie in einen Abschnitt der Geschichte des Deutschen Reiches.

Beispielhaft dafür steht eine Bildpostkarte, die am Ostersamstag 1937 an den damals 2 Jahre alten Oskar und seinen Großvater nach Wilhelmshorst bei Berlin geht. Die Eltern fragen darin den „lieben kleinen Sohn“: „Hast Du schon Ostereier gesucht? Und viele gefunden?“. Zwei kleine bunte Papierenten in schwarz und gelb zieren das linke obere Eck, gezeichnet wird mit „Heil Hitler“. In keinen Zusammenhang dazu lässt sich zunächst die Abbildung auf der Adressseite bringen, die eine Collage aus Adolf Hitler beim „Ersten Spatenstich“ eines Teils der Reichsautobahn und einer später fertiggestellten Straßenstrecke zeigt. Zahlreiche weitere Postkarten des Albums aber gedenken Ereignissen wie dem Führergeburtstag oder dem Reichsparteitag. Ab 1939 häufen sich Militaria, bis endlich eine Fotografie des etwa fünfjärigen Oskar mit Stahlhelm auftaucht, neben einem stilisierten Blumenbouquet aus Buntpapier. Nun endlich wird klar, dass es sich hier nicht ausschließlich um eine Sammlung von Erinnerungen handelt, sondern mit dem Arrangement eine klar (volks)erzieherische Aufgabe verfolgt wird. Noch bevor Oskar laufen kann, schreibt ihm der Großvater einen Brief (der auch Eingang findet), in dem er sich darüber freut, dass sein Enkel mit den ersten Gehversuchen den „Lebenskampf“ antritt, in dem er den „Sinn des Lebens“ sieht.

Den feierlich-glorifizierenden Tenor des Kreutzmann-Albums beschließt ein eher nüchterner Ausklang und auf einen Zeitungsbericht vom Waffenstillstand von Compiègne 1940 sowie Oskars entwertete Lebensmittelkarten aus dem gleichen Sommer folgen nur mehr leere Seiten.

Magdalena Vukovic

 

Zur Zeit findet an der University of Nottingham das Projekt Photography as Political Practice in National Socialism statt.

Im Volkskundemuseum Wien ist noch bis 17.2.2019 die Ausstellung Alle antreten! Es wird geknipst! Private Fotografie in Österreich 1930–1950 zu sehen.



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